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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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seine Umrisse. Er trug etwas… den Sack. O
    Gott, Neil war in diesem Sack! Sie wußte es.
    Er beugte sich in den Wagen, ließ den Sack auf den Vordersitz fallen und stieß ihn auf den Boden. Sharon hörte den dumpfen Aufprall. Er wird Neil verletzen. Er wird ihm weh tun.
    Eine Tür wurde zugeschlagen. Schritte eilten um den Wagen herum. Die Fahrertür öffnete sich, schlug zu. Die Schatten bewegten sich. Sie hörte heiseres Atmen. Der Fremde beugte sich nieder und sah sie an.
    Etwas Rauhes, Kratziges fiel auf ihr Gesicht, eine Decke oder ein Mantel. Sie hob den Kopf und versuchte, ihr Gesicht von dem erstickenden, säuerlichen, schalen Schweißgeruch zu befreien. Der Motor sprang an. Der Wagen begann zu rollen.
    Konzentriere dich auf die Richtungen. Merke dir jede Einzelheit. Die Polizei wird später alles wissen wollen. Der Wagen bog nach links auf die Straße. Es war kalt, schrecklich kalt.
    Sharon begann zu zittern, und durch die Bewegung wurden ihre Fesseln noch straffer und die Schnüre schnitten noch tiefer in ihre Beine, Arme und Handgelenke ein. Ihr ganzer Körper schrie Protest. Hör auf, dich zu bewegen! Ruhig! Sei ruhig. Bloß keine Panik.
    Schnee. Wenn es noch immer schneite, gab es für kurze Zeit vielleicht Spuren. Aber nein.
    Der Schnee war noch zu naß. Sie hörte, wie er gegen die Scheiben klatschte. Wohin fuhren sie?
    Der Knebel. Er drohte sie zu ersticken. Langsam durch die Nase atmen, Neil. Wie konnte er in dem Sack atmen? Er würde ersticken.
    Der Wagen fuhr schneller. Wohin würde er sie bringen?
10
    In der Driftwood Lane stand Roger Perry am Fenster seines Wohnzimmers und schaute in die Nacht hinaus. Das Wetter war miserabel, und er war froh, zu Hause zu sein. Es schneite jetzt sogar noch stärker als vor einer Viertelstunde, als er nach Hause gekommen war.

    Komisch, den ganzen Tag über hatte ihn eine dumpfe Vorahnung reizbar gemacht. Glenda gefiel ihm seit einigen Wochen gar nicht. Das muß es wohl sein. Sonst neckte er sie immer, daß sie zu den glücklichen Frauen gehörte, die mit jedem Geburtstag hübscher wurden. Ihr Haar, inzwischen silbergrau, brachte ihre kornblumenblauen Augen und ihren zarten Teint besonders hübsch zur Geltung. Als die Jungen heranwuchsen, hatte sie Kleidergröße 40
    getragen; seit zehn Jahren paßte ihr Größe 36. Ich will einfach gut aussehen auf meine alten Tage, hatte sie gescherzt. Aber heute morgen, als er ihr den Kaffee ans Bett brachte, war er erschrocken, wie blaß und schmal ihr Gesicht geworden war. Vom Büro aus hatte er den Arzt angerufen, und sie waren beide der Meinung, daß es die Hinrichtung am Mittwoch war, die sie so mitnahm. Ihre Aussage hatte zur Überführung des jungen Thompson beigetragen.
    Roger schüttelte den Kopf. Es war eine schreckliche Geschichte. Schrecklich für den unglücklichen Jungen, für jeden, der damit zu tun hatte. Steve… der kleine Neil… die Mutter des jungen Thompson… Glenda… Für Glenda war diese Art von Nervenbelastung Gift. Sie hatte nach ihrer Vernehmung einen Herzinfarkt erlitten. Roger drängte die Angst zurück; er wußte, ein zweiter Infarkt könnte sie töten. Glenda war erst 58 Jahre alt. Jetzt, wo ihre Söhne erwachsen waren, wollte er diese Jahre mit ihr genießen. Ein Leben ohne sie konnte er sich nicht vorstellen.
    Er war froh, daß sie endlich eingewilligt hatte, eine Haushilfe einzustellen. Mrs. Vogler sollte morgen früh anfangen und dann täglich außer an den Wochenenden von neun bis ein Uhr bei ihnen arbeiten. Auf diese Weise konnte Glenda mehr ruhen, ohne sich um den Haushalt zu sorgen. Er wandte sich um, als er Glenda ins Zimmer kommen hörte. Sie trug ein kleines Tablett.
    »Das wollte ich doch machen«, sagte er vorwurfsvoll. »Macht nichts. Du siehst aus, als könntest du dies hier vertragen.« Sie reichte ihm einen Whiskycocktail und stellte sich neben ihn ans Fenster, um ihm Gesellschaft zu leisten.
    »Ich brauche ihn wirklich. Vielen Dank, Liebes.« Er bemerkte, daß sie an einer Cola nippte.
    Wenn Glenda mit ihm einen Cocktail vor dem Abendessen trank, bedeutete dies nur eines.
    »Herzschmerzen?« Aber es war eigentlich keine Frage.
    »Nur ein bißchen.«
    »Wieviel Nitrolingual hast du genommen?«
    »Nur ein paar. Mach dir keine Sorgen, es geht mir gut. Oh, sieh mal. Das ist komisch.«
    »Was denn?« Immer versuchte sie, das Thema zu wechseln, dachte Roger.
    »Steves Haus. Die Außenbeleuchtung ist ausgeschaltet.«
    »Deshalb kam es mir eben so dunkel vor«, meinte Roger. Er

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