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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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müde aus, Steve. Diese Thompson-Hinrichtung hat dich ganz schön mitgenommen.«
    Steve zuckte die Achseln. »Sie wühlt wieder alles auf. Jede Zeitung in Connecticut berichtet noch einmal über Ninas Tod. Wahrscheinlich reden die Kinder auch in der Schule darüber.
    Ich mache mir Sorgen, wieviel Neil davon mitbekommt. Ich habe schreckliches Mitleid mit Thompsons Mutter - und auch mit ihm.«
    »Warum fährst du mit Neil nicht einige Tage fort, bis alles vorbei ist?«
    Steve überlegte. »Vielleicht mache ich das. Es wäre wahrscheinlich eine gute Idee.«
    Der Wagen hielt am Grand-Central-Eingang in der Vanderbilt Avenue. Bradley Robertson schüttelte den Kopf. »Du bist zu jung, um dich daran zu erinnern, Steve, aber in den dreißiger Jahren war der Grand Central der Verkehrsknotenpunkt in diesem Land. Es gab sogar eine Sendereihe im Rundfunk…« Er schloß die Augen. »Ich glaube, sie hieß >Grand Central Station, Treffpunkt von einer Million Schicksalen<.«
    Steve lachte. »Und dann kam das Jet-Zeitalter.« Er öffnete die Tür. »Danke fürs Mitnehmen.«
    Er zog seine Zeitkarte hervor und betrat mit raschen Schritten den Bahnhof. Sein Zug fuhr erst in fünf Minuten, und so beschloß er, zu Hause anzurufen, um Sharon zu sagen, daß er mit dem Siebenuhrdreißig-Zug kommen würde. Er lächelte über sich selbst. Mach dir nichts vor, dachte er. Du willst nur mit ihr reden, um dich zu vergewissern, daß sie auch wirklich gekommen ist. Er trat in eine Telefonzelle. Da er nicht genügend Kleingeld bei sich hatte, meldete er ein R-Gespräch an.
    Das Telefon klingelte einmal… zweimal… dreimal…
    Das Amt schaltete sich ein. »Ich habe Ihre Nummer gewählt, aber es meldet sich niemand.«
    »Es muß jemand da sein. Bitte, versuchen Sie’s weiter.« Das Rufzeichen setzte wieder ein.
    Nach dem fünften Mal meldete sich wieder die Stimme vom Amt. »Es meldet sich niemand.
    Wollen Sie es später noch einmal versuchen?«
    »Fräulein, würden Sie bitte die Nummer nachprüfen. Sind Sie sicher, daß wir die Nummer 203-565-1313 rufen?« »Ich wähle noch einmal.«
    Steve starrte auf den Hörer in seiner Hand. Wo konnten sie nur sein? Wenn Sharon nicht gekommen war, hatten die Lufts dann vielleicht die Perrys gebeten, ob Neil bei ihnen bleiben konnte?
    Nein. Sharon hätte ihn angerufen, wenn sie sich entschlossen hätte, nicht hinauszufahren.
    Vielleicht hatte Neil einen Asthmaanfall… Vielleicht hatte er wieder ins Krankenhaus gebracht werden müssen.
    Wenn er in der Schule irgendwelches Gerede über die Thompson-Hinrichtung gehört hatte, wäre ein Anfall nicht verwunderlich.
    Neil hatte in der letzten Zeit wieder häufiger unter Alpträumen gelitten.
    Es war sieben Uhr neunundzwanzig. Sein Zug fuhr in einer Minute. Wenn er versuchte, den Arzt oder das Krankenhaus oder die Perrys anzurufen, würde er den Zug verpassen, und der nächste fuhr erst wieder in fünfundvierzig Minuten.
    Vielleicht war das Telefonnetz gestört wegen des Sturms. Das stellte sich meistens nicht sofort heraus. Steve begann, die Nummer der Perrys zu wählen, dann änderte er seine Meinung. Er hängte auf und rannte mit langen Schritten durch den Bahnhof. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend hastete er die Treppe zum Bahnsteig hinunter und erreichte den Zug, als sich gerade die Türen schlossen.
    Im selben Augenblick gingen ein Mann und eine Frau an der Telefonzelle vorbei, die er eben verlassen hatte. Die Frau trug einen langen, schäbigen grauen Mantel und ein fleckiges blaues Kopftuch. Der Mann hatte sie untergefaßt. Unter seinen anderen Arm geklemmt trug er einen schweren Segeltuchbeutel.
9
    Sharon starrte auf die kräftige Hand, die die Pistole hielt, auf die Augen, die von einer Seite zur anderen glitten, die Treppe hinauf, ins Wohnzimmer, über ihren Körper.
    »Was wollen Sie?« flüsterte sie. In ihrer Armbeuge spürte sie, wie Neil am ganzen Körper zitterte. Sie nahm ihn noch fester in den Arm und drückte ihn an sich.
    »Sie sind Sharon Martin.« Es klang wie eine Feststellung. Die Stimme war monoton, ohne eine Nuance im Tonfall. Sharon fühlte ein Pochen im Hals, das ihr die Luft zu nehmen drohte.
    Sie versuchte zu schlucken. »Was wollen Sie?« fragte sie wieder. Das ständige leise Pfeifen in Neils Atem… Wenn er durch den Schreck einen Anfall bekam… Sie beschloß, sich kooperativ zu verhalten. »Ich habe ungefähr neunzig Dollar in meinem Portemonnaie…«
    »Mund halten!«
    Der Fremde sprach so gelassen, daß es sie eiskalt

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