Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
Vom Netzwerk:
hatten wir einen vierzehnjährigen Jungen im Gericht. Er sieht aus wie elf, so mager und schmächtig ist er. Beide Eltern sind hoffnungslose Alkoholiker. Als er sieben war, haben sie ihn für schwererziehbar erklärt. Seitdem zieht er von einem Kinderheim ins andere. Immer wieder reißt er aus. Diesmal unterschrieb die Mutter die Anklage wegen Schwererziehbarkeit, und der Vater setzte sich dagegen zur Wehr. Sie leben getrennt, und er will das Kind bei sich haben.«
    »Und was passierte?«
    »Ich habe gewonnen - wenn du es so nennen willst. Ich bestand darauf, daß er in ein Jugendheim zurückgeschickt wird, und der Richter stimmte zu. Der Vater ist von all dem Schnaps derart wirr im Kopf, daß er nur noch dahinvegetiert. Der Junge wollte aus dem Gerichtssaal weglaufen, und der Polizeibeamte mußte ihn hart anpacken, um ihn festhalten zu können. Da wurde der Junge hysterisch und kreischte: >Ich hasse euch alle. Warum kann ich kein Zuhause haben wie andere Kinder?< Seelisch ist er so geschädigt, daß er vermutlich nicht mehr zu retten ist. Wenn er in fünf oder sechs Jahren jemanden tötet, bringen wir ihn auf den elektrischen Stuhl. Ist das gerecht?« Tränen schimmerten in ihren Augen.
    »Ich weiß, Kath. Warum sind wir überhaupt Juristen geworden? Wir hätten vielleicht klüger sein sollen. Das hier kann dir allen Mut nehmen.« Er beugte sich nieder und küßte sie auf die Stirn. »Ich ruf’ dich an.«
    In seinem Büro stellte Bob den randvollen Wasserkessel auf den elektrischen Kocher. Vier Tassen starken schwarzen Pulverkaffees vertrieben den Nebel aus seinem Gehirn. Er spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und setzte sich an den langen Tisch in seinem Büro, wo er seine Papiere säuberlich ausbreitete. Er warf einen Blick auf die Uhr über seinem Schreibtisch. Es war halb acht Uhr morgens. Ihm blieben nur noch achtundzwanzig Stunden Zeit bis zur Hinrichtung. Kein Wunder das sein Herz verrückt spielte und ihm der Kragen zu eng würde.
    Nein. Es war nicht nur der Zeitdruck. In seinem Unterbewußtsein hämmerte etwas. Wir haben etwas übersehen, dachte er. Und diesmal war es kein intuitives Gefühl. Es war Gewißheit.
20
    Nachdem die Perrys nach Hause und die Lufts in ihr Zimmer gegangen waren, saßen Steve und Hugh Taylor noch lange am Tisch im Eßzimmer.
    Die Polizeibeamten hatten ruhig und gründlich überall im Haus Fingerabdrücke abgenommen und Haus und Garten nach Hinweisen auf den Entführer untersucht. Aber die auf die Tafel gekritzelte Nachricht blieb der einzige Beweis.
    »Die Abdrücke auf Glas und Becher werden wahrscheinlich die gleichen sein wie die auf Sharons Portemonnaie«, meinte Hugh.
    Steve nickte. Nach vier Tassen Kaffee und zahllosen Zigaretten hatte er ein trockenes, brackiges Gefühl im Mund. Mit dreißig hatte er das Rauchen aufgegeben; als Nina starb, hatte er wieder damit angefangen. Hugh Taylor war es gewesen, der ihm damals die erste Zigarette gab. Während er sich jetzt eine neue anzündete, sagte er mit einem Anflug von Galgenhumor:
    »Sie haben mich wieder rückfällig gemacht.«
    Hugh nickte. Wenn damals einer eine Zigarette nötig hatte, dann war es Steve Peterson.
    Und jetzt sein Kind! Hugh entsann sich, wie er mit Steve an diesem Tisch gesessen hatte, als so ein Spinner anrief und mit geheimnisvoller Stimme sagte, Nina habe eine Nachricht für Steve. Sie lautete: »Sagen Sie meinem Mann, er soll sich in acht nehmen. Mein Sohn ist in Gefahr.« Am selben Vormittag fand Ninas Beerdigung statt. Hugh erschrak, als er sich an den Vorfall erinnerte. Hoffentlich dachte Steve nicht mehr daran. Er beugte sich über die Skizzen, die er sich methodisch gemacht hatte. »Vor dieser Exxon-Tankstelle gibt es einen Münzfernsprecher«, sagte er zu Steve. »Wir werden die Leitung anzapfen, ebenso die Telefone in diesem Haus und bei den Perrys. Wenn Sie mit Foxy sprechen, müssen Sie versuchen, ihn so lange wie möglich am Apparat zu halten. Dann haben wir eine Chance, das Gespräch zu verfolgen und seine Stimme aufzunehmen. Vielleicht kann sich Mrs. Perry entsinnen, wer er ist, wenn sie seine Stimme wieder hört. Das wäre unsere größte Chance.«
    »Meinen Sie nicht, daß sie sich vielleicht nur einbildet, die Stimme erkannt zu haben? Sie sahen doch, wie erregt sie war.«
    »Das ist schon möglich. Aber sie scheint mir eine vernünftige Person zu sein, und sie ist sich absolut sicher. Auf jeden Fall arbeiten Sie mit uns zusammen. Sagen Sie Foxy, Sie verlangten einen Beweis, daß Sharon

Weitere Kostenlose Bücher