Gnadenfrist
die Bombe wieder ein. Vielleicht konnte er jemand finden. Sie würden Sharon helfen. Er mußte unbedingt jemand finden, der Sharon half.
Er war am Fuß der Treppe. Wohin jetzt? Überall waren Rohre… Sharon hatte etwas von einer Rampe gesagt. Dort war eine Rampe, genau wie die in der Schule zwischen den Klassenzimmern und der Aula.
Er rannte über die Rampe. Er wollte um Hilfe rufen, aber er mußte sich beeilen. Er mußte jemand finden. Er war am Ende der Rampe. Er war in einem Bahnhof, einem Bahnhof voller Züge. Dort waren die Gleise. Sharon hatte gesagt, er solle über die Treppe nach oben gehen.
Er rannte am Prellbock um den Bahnsteig herum.
Eine Stimme ertönte. Sie klang wie in der Schule, wenn der Direktor etwas durch den Lautsprecher sagte. Es hieß, jeder sollte den Bahnhof verlassen. Wo steckte der Mann, der das sagte?
Er hörte Schritte, die eine Treppe herunterkamen. Es kam jemand - jemand, der Sharon helfen würde. Er war so froh, daß er am liebsten geschrien hätte, aber er konnte nicht. Er war vom Laufen völlig außer Atem. Seine Beine schmerzten so, daß er kaum noch laufen konnte.
Er taumelte auf die Treppe zu und begann hinaufzusteigen. Wer es auch sein mochte, er mußte sagen, daß Sharon Hilfe brauchte.
Neil blickte hoch und sah das Gesicht, das ihn in seinen Träumen verfolgt hatte, auf sich zukommen.
Foxy sah Neil. Seine Augen wurden schmal, sein Mund verzerrte sich. Er streckte die Hände aus… Neil sprang zur Seite und stellte ihm ein Bein. Der Mann stolperte über Neils Fuß und verlor auf den drei letzten Stufen das Gleichgewicht. Neil wich den Armen aus, die nach ihm griffen, und rannte die Treppe hinauf. Er war auf einem großen leeren Platz. Kein Mensch war zu sehen. Dort drüben war noch eine Treppe. Vielleicht fand er dort oben Menschen. Der Verbrecher ging zu Sharon. Der Verbrecher ging zu Sharon…
Schluchzend rannte Neil die zweite Treppe hinauf. Er wollte schreien… Daddy! Daddy! Er erreichte die letzte Stufe. Jetzt waren überall Polizisten. Sie rannten vor ihm weg. Einige stießen einen Mann vor sich her.
Sie stießen Daddy.
»Daddy!« rief Neil. »Daddy!«
Mit letzter Kraft taumelte er durch den Bahnhof. Steve hörte ihn, wandte sich um, rannte ihm entgegen, packte ihn…
»Daddy«, schluchzte Neil, »der Verbrecher wird Sharon jetzt töten… genauso, wie er Mami auch getötet hat.«
50
Rosie wehrte sich entschlossen, als man sie aus dem Bahnhof entfernen wollte. Lally war in Sing-Sing. Sie wußte es. Überall waren Polizisten. Am Informationsschalter stand eine ganze Gruppe beisammen. Sie entdeckte Hugh Taylor. Er war der nette FBI-Mann, der jedesmal mit ihr redete, wenn er in den Bahnhof kam. Sie lief auf ihn zu und zupfte ihn am Ärmel. »Mr.
Taylor… Lally…«
Er blickte auf sie hinab und befreite seinen Arm. »Zum Teufel, Rosie, mach, daß du rauskommst«, befahl er. Über den Lautsprecher kam die Durchsage, daß alle den Bahnhof verlassen sollten. Rosie schluchzte. »Nein!« Der große Mann neben Hugh Taylor wehrte sich auch. Sie sah, wie Hugh und ein zweiter Polizist mit ihm rangen. »Daddy! Daddy!«
Hörte sie Gespenster? Rosie wirbelte herum. Ein kleiner Junge taumelte durch den Bahnhof.
Dann rannte der Große, der Mr. Taylor angeschrien hatte, an ihr vorbei und auf das Kind zu.
Sie hörte den Jungen etwas über einen Verbrecher sagen und lief hin. Vielleicht hatte er den Kerl gesehen, den sie und Lally beobachtet hatten?
Der Junge weinte. »Daddy, hilf Sharon. Sie ist verletzt. Sie ist gefesselt, und eine kranke alte Frau…«
»Wo, Neil, wo?« bettelte Steve.
»Eine kranke alte Frau!« schrie Rosie. »Das ist Lally! Sie ist in ihrem Zimmer. Sie kennen es, Mr. Taylor, in Sing Sing - die alte Spülküche.«
»Kommen Sie!« rief Hugh.
Steve schob Neil einem Polizisten in die Arme. »Bringen Sie meinen Sohn hier raus«, befahl er. Dann lief er Hugh nach, gefolgt von zwei Männern, die eine schwere Metallplatte schleppten.
»Um Himmels willen, nichts wie raus hier!« Jemand schlang einen Arm um Rosies Taille und zerrte sie zum nächsten Ausgang. »Die Bombe kann jede Minute losgehen.«
Sharon hörte das Patschen von Neils Turnschuhen auf der Treppe. Lieber Gott, schütze ihn.
Laß ihn davonkommen. Das Stöhnen der alten Frau setzte aus, begann wieder, hörte erneut auf, diesmal für länger. Als es wieder einsetzte, klang es leiser, weicher und schwand allmählich dahin.
Wie von allem losgelöst erinnerte sich Sharon auf einmal deutlich
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