Gnadenlos (Sara Cooper)
Kiessteine bohrten sich in ihre nackten Fußsohlen, aber den Schmerz spürte sie kaum. Sie erkannte das Licht in dem nebenstehenden Haus. Wenn sie an die Tür hämmerte, würde ihr jemand helfen. Sie lief weiter, Stiche brannten in ihrer Brust. Dann löste sich der Gürtel ihres Nachtmantels und verfing sich in ihren Beinen, sie kam ins Straucheln, knickte um und fiel kopfüber zu Boden. Der Schmerz ließ sie laut aufschreien. Sie blickte sich um, konnte aber die Gestalt nicht sehen. Leise schluchzend kämpfte sie sich auf allen Vieren weiter in Richtung des rettenden Lichts. Plötzlich waren polternde Schritte hinter ihr. Dann erhob sich ein Schatten vor ihr und verdeckte das Licht, das so nahe war. Lydia wimmerte. „Bitte, nicht“, flüsterte sie, aber sie hatte den Kampf bereits aufgegeben. Der Mann beugte sich langsam zu ihr herunter. Als sie ihren Blick hob, hatte sie das Gefühl in eine Maske zu blicken. Wo waren die Augen? Bilder von Claire und Philip schossen ihr ins Gedächtnis. Ihre Kinder lachten. Nein, es war ein Strahlen, das jedes Lachen überthronte. Lydia lächelte, als sie auf den Gnadenschuss wartete. Sie spürte den Atem des Mannes auf ihrem Gesicht, er war jetzt ganz nah. Aber nichts geschah. Durch ihre halbgeschlossen Lider nahm sie ein flackerndes Licht wahr. Langsam nahm der Mann die Maske ab. Sie erschrak, aber dann erkannte sie verschwommen einen Helm, eine Stimme. „Mam? Was ist passiert, Mam?“ Lydia öffnete die Augen und sah einen Polizisten, der sich über sie beugte. Sein Helm lag neben ihm im Gras. Hinter ihm stand ein Motorrad, dessen Scheinwerferlicht die Nacht erhellte. Die Stimme des Mannes verhallte und das Licht erlosch. Lydia schloss kraftlos die Augen.
Kapitel 25
Point Loma, San Diego
Matt wurde in die Schule gerufen, weil sich Noah beim Spielen das Knie aufgeschlagen hatte. Jetzt saß er mit seinem Sohn im Auto. „Und, Kumpel, alles in Ordnung?“ Obwohl die Schulärztin ihn fachmännisch wieder hergestellt hatte, machte sich Matt Sorgen um den Kleinen.
„Ja, alles gut“, sagte Noah tapfer und versuchte nicht zu weinen.
Matt strich ihm über die Stirn. „Ein Eis, Champ?“
Auch das munterte seinen Sohn nicht auf. „Ich will einfach nur zu Mum“, erwiderte er leise.
„Hey, Mum ist bald wieder da. Wir rufen Sie nachher an, okay?“ Er strich seinem Jungen übers Haar. „Wie wär‘s mit einer Runde Videospiele? Soccer. Du gegen deinen alten Vater.“ Der Anflug eines Lächelns zeichnete sich auf Noahs Lippen ab.
Sie bogen in die Einfahrt des Hauses ein. Als ihnen ein Taxi entgegen kam, beschlich Matt sofort ein komisches Gefühl. Er erspähte eine Reisetasche vor der Tür, die ihm bekannt vorkam. „Oh, nein“, murmelte er kaum hörbar, aber Noah hatte sie auch schon entdeckt: Grandma Dana lehnte mit verschränkten Armen an der Mauer zum Garten und wippte mit den Füßen, als würde sie Musik hören. Als sie die beiden erspähte, eilte sie ihnen entgegen. „Sie hat mich rausgeschmissen!“, erklärte sie entrüstet.
„Wer?“, fragte Matt, obwohl er die Antwort schon kannte. Dana blieb stehen. Anstatt zu antworten, bemerkte sie bissig. „Ihr solltet euch wirklich nicht von den vielen Brennstoffen abhängig machen, wie es die Mineralölkonzerne gerne haben“, sie deutete auf das Auto. „Ihr solltet wie ich die Energie eures Körpers einsetzen, um euch fortzubewegen, statt unseren Planeten ständig auszubeuten.“
Matt ließ den Kopf hängen. „Sagte die Frau, die mit dem Taxi vorfuhr!“
„Ich bitte dich, das ist etwas völlig anderes. Das war eine Ausnahmesituation.“
„Natürlich“, seufzte er.
Bevor sich Dana weiter aufregen konnte, sah sie Noahs verletztes Knie. „Um Gottes Willen, was ist mit dem Jungen passiert? Du solltest ernsthaft überlegen, ihn aus der Schule zu nehmen. Das sind doch alles nur Kriminelle. Es gibt exzellenten Privatunterricht.“ Sie strich vorsichtig über den Verband, und Noah verzog intuitiv sein Gesicht.
„Es geht schon, Grandma.“
„Na komm, ich helfe dir rein. Matt, mach die Tür auf. Schnell! Der Junge muss sich hinlegen.“
Matt holte tief Luft und ging voraus.
Im Wohnzimmer angelangt legte sich Noah auf die Couch und Matt stellte den Kindersender ein. Coop hatte es sich neben Noah gemütlich gemacht. „Runter, Coop“, mahnte ihn Matt.
„Lass doch den armen Hund in Ruhe. Coop tut dem Kind gut, glaub mir mal.“ Dana klang schon wieder vorwurfsvoll.
„Was wird das jetzt hier, Ma?“ Matt war
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