Gnadenlos (Sara Cooper)
Hamilton“, stellte er sich vor und dachte kurz nach. „Ah, um Claire. Ich dachte, sie ist im Urlaub?“, fragte er seine Frau. Auch er setzte sich in einen Sessel und stellte seine Aktentasche neben sich ab.
„Genau, Claire ist mit ihrer Freundin in Thailand und wird dort seit fast zwei Wochen vermisst“, wiederholte Shawn den Stand der Dinge noch einmal für Geoffrey.
Lydia Reynolds Mann stockte. „Vermisst?“ Er wandte sich erneut seiner Frau zu. „Davon hast du gar nichts erzählt.“ Seine Stimme klang einen Hauch vorwurfsvoll.
„Ach Liebling, du kennst doch Claire. Die kommt und geht, wann sie will. Der wird es schon gut gehen.“ Sie legte beruhigend ihre Hand auf sein Knie, wich seinem Blick jedoch aus. Die Wanduhr schlug an, es war 17 Uhr. Lydia erhob sich. „Oh, Sie müssen mich bitte entschuldigen. Ich habe gleich einen Friseurtermin für das Essen nachher und muss mich noch frisch machen.“
Alle anderen erhoben sich ebenfalls. Shawn trat an sie heran. „Wenn Sie irgendetwas von Claire hören, sagen Sie uns bitte sofort Bescheid, Lydia.“ Er reichte ihr eine Visitenkarte. Sie nickte und verließ das Wohnzimmer.
Geoffrey blickte seiner Frau mit seinen blassblauen Augen hinterher. Er wandte sich Shawn und Lilly wieder zu. Lilly räusperte sich. „Haben Sie vielleicht noch einen Augenblick für uns Zeit?“, erkundigte sie sich höflich.
„Selbstverständlich.“ Er nickte und bedeutete allen, wieder Platz zu nehmen.
Kapitel 22
Geoffreys Augen verengten sich und er zögerte, bevor er weitersprach. „Claire ist wirklich verschwunden, oder?“, fragte er.
„Alles sieht danach aus“, erwiderte Lilly. „Was hat Ihre Frau für ein Verhältnis zu Claire? Und zu Philip? Zu ihren beiden Kindern?“ Der Mann stockte und blickte noch einmal zur Tür, offensichtlich um sicherzugehen, dass seine Frau oben war und nicht zuhören konnte. Sein Gesichtsausdruck wechselte augenblicklich von Besorgnis zu Bestürzung. „Warten Sie“, erwiderte er leise. Er stand auf, holte aus der Innentasche seiner Jacke seine Brille und setzte sie auf. Dann ging er langsam zu einem Sekretär, öffnete eine Schublade und zog einen Umschlag heraus, dem er ein Foto entnahm. Bevor er es Lilly gab, betrachtete er es noch einmal, sein Blick war traurig. „Das ist eines der letzten Bilder von den vieren. Lydia, Carl, Philip und Claire. Lilly nahm vorsichtig das Foto, Shawn rückte dichter an sie heran, um es ebenfalls zu betrachten. Auf dem Bild waren vier glückliche Menschen zu sehen, die in die Kamera lachten. Philip war kaum wieder zu erkennen. Er sah kräftig aus, richtig durchtrainiert, hatte längere, lockige Haare und ein betörendes Lachen. Auch Claire sah wunderhübsch aus. Das lange dunkle Haar trug sie offen, ihre blauen Augen strahlten in die Linse. Genauso die Eltern, Carl und Lydia. Auf ihren Gesichtern lag ein Ausdruck der Zufriedenheit, den man nicht spielen konnte. „Carl ist der leibliche Vater von Claire und Philip?“, stellte Lilly mehr fest, als zu fragen.
Geoffrey nickte. „Ja, er ist gestorben, da war Claire 15 und Philip 20. Von da an brach alles zusammen. Lydia hat mir einmal unter Tränen davon erzählt, als sie ein paar Gläser Rotwein zu viel hatte. Die Kinder entglitten ihr, an erster Stelle Philip. Er ließ sich mit den falschen Leuten ein und wurde letztendlich drogenabhängig. Ständig hat er mit der Polizei zu tun.“ Er musste schlucken.
„Und Claire?“ Lilly bat ihn, weiter zu sprechen.
„Sie hat ihren Bruder vergöttert. Es war ein Albtraum für sie mitanzusehen, wie er langsam zerbrach. Als ihre Mutter mich heiratete, hatte Claire die Hoffnung, Lydia werde ihr und vor allem Philip mit Geld aushelfen.“
„Aber Ihre Frau hat sich geweigert“, beendete Shawn seine Ausführung.
„Zunächst nicht, aber als klar war, dass Philip das Geld für Drogen brauchte, drehte sie den Geldhahn zu. Einen Entzug wollte er ja nie machen. Sie wollte die Drogensucht ihres Sohnes nicht auch noch unterstützen, verstehen Sie?“ Er klang, als würde er seine Frau verteidigen wollen.
„Darauf hat Claire wütend reagiert?“, fragte Lilly.
„Wütend? Das ist gar kein Ausdruck.“ Geoffrey griff sich an die Schläfen. „Sie war vor ein paar Wochen das letzte Mal hier. Die beiden haben furchtbar gestritten. Es ging wieder um Geld, einen ordentlichen Betrag. Claire brauchte dringend etwas, um Philip aus der Patsche zu helfen, aber meine Frau weigerte sich. Claire hat ein paar Sachen gepackt
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