Gnadenlos (Sara Cooper)
drückte ihre Hand. „Komm her“, flüsterte er und sie küssten sich. Er nahm ihr Gesicht sanft in seine Hände. „Sei vorsichtig. Hörst du.“ Sie lächelte und stieg aus.
Carpenter stand auf dem Klingelknopf. Nach wenigen Sekunden öffnete Rick die Tür. Sara erkannte ihn kaum wieder: Er war kreidebleich, und um seine geröteten Augen waren tiefe Falten gezogen, die ihn zehn Jahre älter aussehen ließen. Er rang sich ein Lächeln ab, wirkte aber nur erschöpft. „Sara, schön dich zu sehen.“
Er nahm sie in den Arm und drückte sie fest an sich. So fest, wie sich jemand an einen Rettungsring klammert, dachte Sara. „Du bist unsere letzte Hoffnung“, sagte er mit gedämpfter Stimme. „Komm rein. Jane ist im Wohnzimmer.“ Sie gingen durch einen langen Flur, der mit einem edlen Teppichläufer verziert war, an den Wänden hingen teure Gemälde.
Jane saß auf dem großen Ledersofa und hatte Taylor im Arm. Ihr Gesicht wirkte noch eingefallener als wenige Stunden zuvor und ihre kurzen dunklen Haare betonten das traurige Erscheinungsbild eher noch. Sara sah Taylor, ihren Neffen, zum ersten Mal. Er war mittlerweile zehn Monate alt. Ihre Schwester und ihr Mann hatten ursprünglich keinen Nachwuchs mehr geplant, sich aber umso mehr über die Geburt ihres Sohnes gefreut. Als sie langsam auf beide zuging, musste sie lächeln. Ihr Neffe schlief tief und fest, als sie sachte seine Wange berührte. Jane lächelte ihre Schwester an. „Hallo Sara. Danke, dass du gekommen bist.“ Janes Augen waren ausdruckslos. „Ich bringe schnell Taylor hoch ins Bettchen, dann bin ich für dich da.“ Sie stand auf und verschwand Richtung Treppe. Ihre Jeans hingen schlaff an ihr herunter, sie musste in den letzten Tagen kaum gegessen haben. Rick setzte sich auf das Sofa. „Sara, nimm Platz.“ Er schenkte ihnen beiden ein Glas Wasser aus der Karaffe ein, die auf dem Marmortisch stand. „Warum passiert ausgerechnet uns so etwas?“
Sara legte ihre Hand auf sein Knie. „Wir können doch noch gar nichts Genaues sagen. Wer weiß, vielleicht gibt es eine ganz einfache Erklärung, warum Mia sich nicht meldet.“
Er sah sie an und entgegnete leise. „Mia ist die zuverlässigste Person, die ich kenne. Sie würde sich niemals zwei Wochen nicht melden. Sie weiß, dass ihre Mutter vor Sorge stirbt.“ Sara nahm einen Block aus ihrer Tasche und schlug die erste Seite auf. In diesem Moment kam Jane hinzu und setzte sich neben ihren Mann, er nahm ihre Hand. Sara schaute zwischen ihnen hin und her.
„Jane erzählte etwas von einem Privatdetektiv. Wer ist das? Und hat er gar nichts herausfinden können?“
Rick schüttelte den Kopf. „Sein Name ist Tom Jackson. Und nein, Tom hat keine Spur. Nachdem sich Mia fünf Tage nicht gemeldet hatte, habe ich ihn um Hilfe gebeten, aber er hat noch nichts herausgefunden.“
Sara fixierte Rick. „Woher kennst du diesen Tom? Wie bist du auf ihn gekommen?“ Jane seufzte abfällig und stieß mit einer fahrigen Handbewegung ihr Wasserglas um. „Verdammt“, zischte sie und stand auf.
„Schatz lass.“ Rick berührte besänftigend ihren Arm.
Sie stieß ihn weg. „Ich hol eben ein Tuch.“ Rick schaute ihr besorgt hinterher, als sie den Raum verließ.
„Deine Frau scheint ihn nicht sonderlich zu schätzen“, stellte Sara nüchtern fest.
Ihr Schwager schüttelte den Kopf. „Tom ist ein alter Freund von mir. Er lebt seit Jahren in Thailand als eine Art Privatdetektiv. Naja, eigentlich hält er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Aber er hat gute Kontakte, und das Land ist seine zweite Heimat geworden. Er kennt jeden Fleck dort. Daher bot es sich an, dass er sich mal umhört.“ Er räusperte sich. „Und nein, Jane mag Tom nicht, aber du kennst ja deine Schwester.“
Sara nickte. Ihre Freunde konnte Jane auch nie leiden. „Also du vertraust diesem Tom?“
„Ja, das tue ich. Bedingungslos.“
„Ich brauche seine Nummer und seine Adresse, dann setze ich mich mit ihm in Verbindung, sobald ich dort bin.“
Jane betrat wieder das Wohnzimmer und setzte sich zu Rick, sie schien sich beruhigt zu haben. „Entschuldigt bitte. Ich bin ein absolutes Nervenbündel“, sagte sie müde.
Sara richtete sich nun wieder an beide. „Erzählt mir alles, was ihr wisst. Mit wem ist Mia unterwegs?“
Jane faltete ihre Hände. „Claire Reynolds. Die beiden haben sich kennengelernt, als wir hierher gezogen sind, also vor ungefähr einem Jahr. Sie waren zusammen auf der Lincoln High School, haben jetzt
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