Gnadenlos (Sara Cooper)
ihr zu tun. Tagsüber war ich ja an der Uni und abends waren die beiden meist unterwegs. Ich hatte aber nichts gegen sie, wenn du das wissen willst. Sie war ein nettes Mädchen.“
Sara nickte. „Zeigst du mir bitte noch Mias Zimmer?“
Rick führte sie in den ersten Stock. Mias Zimmer sah, anders als das ihrer Freundin, auch so aus, als würde jemand darin leben. Auf dem Boden lagen etliche Modezeitschriften und CDs verstreut. In einem Bücherregal standen juristische Fachzeitschriften, Lexika und Romane. Sara nahm ein Buch heraus und schaute Rick verblüfft an.
„Jura?“, fragte sie.
„Ja, Mia will Jura studieren. Ihr alter Vater hat es offensichtlich nicht geschafft, sie für Amerikanische Geschichte zu begeistern.“ Er schmunzelte.
„Immerhin will sie nicht Polizistin werden“, warf Sara ein. Der Mann ihrer Schwester trat ans Fenster und blickte hinaus. „Ich hatte immer Angst, dass wir sie zu sehr verwöhnen. Vor jeder kleinsten Gefahr wollten wir sie beschützen. Weißt du, Jane war strikt gegen diese Reise, ich konnte sie nur mit Müh und Not überzeugen. Und jetzt ist unsere Tochter verschwunden.“ Er schluckte und drehte sich wieder zu Sara. Tränen stiegen ihm in die Augen. „Entschuldige“, flüsterte er.
Sara ging einen Schritt auf ihn zu und nahm seine Hände. „Rick, du darfst jetzt nicht die Nerven verlieren, hörst du. Und mach dich nicht zum Schuldigen. Das bist du nicht. Ich werde alles tun, um Mia zu finden, aber dafür benötige ich deine Hilfe. Du musst dich um Jane und Taylor kümmern. Sie brauchen dich jetzt.“
Er nickte und Sara drückte seine Hände. „In Ordnung“, sagte er und senkte den Kopf.
Sara löste sich von Rick und schaute sich weiter im Zimmer um. An der Wand hing eine Pinnwand mit mehreren Fotografien. Eine zeigte Mia in erhabener Haltung bei einem Konzert, die Geige fest am Kinn. Sie betrachtete die übrigen Fotografien. Auf den meisten war Mia mit einem anderen Mädchen zu sehen. Rick nahm ein Bild von der Wand. „Das ist Claire.“ Er reichte es Sara, die es eingehend betrachtete. Claire war ein ähnlicher Typ wie Mia. Sie als gutaussehend zu beschreiben, wäre ihr nicht gerecht geworden. Eine ganz eigene, auf ihre Art zurückhaltende Schönheit schimmerte durch den Schleier von Schwermut, der sie zu umgeben schien. Die helle Haut des Mädchens stand in einem reizvollen Kontrast zu ihrem dunklen Haar. Claire war etwas kräftiger gebaut als Mia. Beide lächelten in die Kamera, wobei Claires Ausdruck einen Hauch gestellt wirkte. Mia hatte ihre Arme fest um die Taille ihrer Freundin geschlungen. „Kann ich das mitnehmen?“, fragte Sara.
Rick nickte. „Natürlich.“
„Die beiden waren sehr eng, oder?“
„Ja, wie schon gesagt, nahezu unzertrennlich.“
„Glaubst du, Claire könnte Mia in Schwierigkeiten gebracht haben? Drogen? Alkohol?“
Rick verschränkte die Arme vor seinem Körper. „Ich habe keine Ahnung, Sara. Eigentlich würde ich sagen, nein. Es gab unseres Wissens nie Alkoholexzesse, von Drogen ganz zu schweigen. Aber langsam kommt mir die ganze Sache merkwürdig vor. Claire war immer sehr verschlossen, hat nicht viel über sich oder ihre Familie erzählt - zumindest uns nicht.“
Sara stand an der Tür, sie hatte sich ein Taxi gerufen. Jane und Rick hörten ihr zu. „Passt auf, das hier ist die Nummer von meinem Kollegen, Detective Cruz Rodriguez. Er ist seit meiner Versetzung verantwortlich für das Team. Ihr ruft ihn an und erzählt ihm alles, was ihr wisst. Er wird euch sicher auch einen Besuch abstatten. Er soll alle Namen überprüfen und mir, sobald ich in Bangkok gelandet bin, den Ermittlungsstand durchgeben. Ich bin jetzt fast 24 Stunden unterwegs. Er hat also genug Zeit. Er weiß, dass ihr anruft.“ Das Taxi hupte und Sara eilte auf die Straße.
Kapitel 8
Die Luft roch verbraucht und schmeckte alt. Mias Gedanken waren zwar immer noch verschwommen, aber ihre Erinnerung war wieder da. Sie dachte an das Päckchen mit den Drogen. Was war nur geschehen? Als sie hier ankam, war Ryan verschwunden. Was mit Jared und Claire passiert war, hatte sie verdrängt. Sie schrak aus ihrem Dämmerzustand auf, als sie unsanft gepackt und hochgezogen wurde. Ein Mann redete auf sie ein, aber auch ihn verstand sie nicht. Sie wurde in einen Raum gebracht und die Tür fiel laut hinter ihr ins Schloss. Es war eine Art Verhörraum, ein Tisch und zwei Stühle, die sich gegenüberstanden. Von der Decke hing eine lose Glühbirne, die spärliches Licht
Weitere Kostenlose Bücher