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Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Titel: Gnadenlose Gedanken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wagner
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die ab und zu stehen blieben, um ihre lebhafte Diskussionen fortzuführen. Da schlichen alte Menschen vorüber, einen Einkaufstrolly hinter sich her ziehend, der zur Hälfte mit Medikamenten gefüllt war.

    Kurz, der Kennedy-Platz war tatsächlich ein Ort, an dem unzählige Gedanken gedacht wurden. Ideal für mein Experiment!
    Ich rollte langsam zur Platzmitte, wo ein Springbrunnen Händchenhaltende Liebespärchen angelockt hatte. Ich wollte mir mit dem Wasser ein wenig meine Hände abkühlen, die trotz der Handschuhe, die ich beim Rollstuhlfahren immer trug, ziemlich brannten. Neben mir lag ein Mann auf dem Brunnenrand. Er hatte ein Buch auf seiner Brust liegen und schien zu dösen. Als ich gerade überlegte, ob ich mir etwas von dem lauwarmen Wasser ins Gesicht spritzen sollte, spürte ich einen kurzen, aber heftigen Stich hinter meinem rechten Ohr. Aha, dachte ich noch. Das Experiment begann schon, bevor ich überhaupt die Zeit hatte, mich darauf richtig vorzubereiten.

    [Bald habe ich es geschafft. Ich merke schon, wie die Pillen immer mehr wirken. Bald bin ich erlöst, dann habe ich endlich meine Ruhe.]

    Scheinbar waren es die Gedanken meines Nebenmanns, der wohl doch nicht schlief. Ich schaute ihn mir etwas genauer an als vorher. Seine Haare waren zwar etwas fettig, allerdings trug er saubere Kleidung. Er war nicht nur dünn, er war dürr. Ich schätzte ihn auf etwa vierzig Jahre, obwohl ich mich beim Schätzen von Alter oder Berufen meistens irrte. Ich hatte einmal eine dreiundzwanzigjährige Floristin für eine vierundvierzigjährige Arztgattin gehalten. Ich war auf diesem Gebiet wirklich nicht besonders talentiert.
    Der Mann machte zwar nicht unbedingt den besten Eindruck, er war aber sicherlich kein Penner.

    [Wenn ich erst einmal eingeschlafen bin, dann geht der Rest ganz schnell. Ich werde einfach schlafen, ohne wieder aufzuwachen. Wann habe ich das letzte Mal so richtig geschlafen? Seit der Scheidung bestimmt nicht mehr. Seitdem Ruth mich verlassen hat, konnte ich doch kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Sie ist es auch Schuld, dass ich den Job verloren habe. Mann! Fünfzehn Jahre in derselben Firma, nie auch nur einen Tag gefehlt. Und dann schmeißen die mich raus. Einfach so! Weil sie angeblich in einer wirtschaftlichen Zwangslage seien. So ein Schwachsinn! Doch das kann mir doch jetzt alles egal sein. Ruth ist von mir weggelaufen, um mit dieser Lesbenschlampe nach Holland zu ziehen. Sollen diese Votzen da doch glücklich werden! Da, wo ich jetzt hingehe, werde ich glücklicher sein, als alle Weiber dieser Welt zusammen! Und wenn dieses Glück auch nur bedeutet, dass ich für alle Ewigkeit schlafen werde. Was könnte denn schöner sein?]

    Dieser Mann wollte sterben! Er war im Begriff sich das Leben zu nehmen! Ich musste etwas unternehmen, doch ich war wie gelähmt. (Gelähmt, im Sinne von: ich kann mich vor lauter Schreck nicht bewegen. Nicht im Sinne von: ich bin von der Brücke gesprungen und kann seitdem nicht mehr mit dem dicken Zeh wackeln!).

    [Ich werde einfach einschlafen, und niemand wird etwas dagegen unternehmen können. Die Leute denken bestimmt, ich sei beim Lesen eingenickt und so rücksichtsvoll, wie sie sind, werden sie mich in Ruhe lassen. Vielleicht werden sie meinen Tod erst morgen früh bemerken. Möglicherweise findet mich ein Straßenfeger, oder sogar eine frühere Kollegin von Ruth, auf dem Weg zu ihrer Frühschicht im Krankenhaus.]

    Der Typ hatte Tabletten gefressen um zu sterben, und nun machte er sich Gedanken darüber, ob ihn die Kollegin seiner lesbischen Ex-Frau finden könnte! Ich musste etwas tun!
    Mit einer kurzen Bewegung drehte ich den Rollstuhl, und rollte auf den Mann zu. Er bemerkte mich nicht. Auch die anderen Menschen am Brunnen nahmen keine Notiz von uns. Ich schaute mich schnell um, dann stieß ich ihn, so fest ich konnte, in das Wasser. Mit einem lauten Platschen fiel er in den Brunnen. Das Geräusch erinnerte mich an die Kulisse eines Schwimmbades. Bevor ich auch nur „Hilfe!“ schreien konnte, war schon ein Sonnenbankgebräunter Bodybuilder herbeigeeilt, und zog den Lebensmüden aus dem Wasser. Er legte ihn wieder auf den Brunnenrand, und wollte bereits damit beginnen, ihm das Wasser aus der Lunge zu pumpen. Da richtete sich der Mann auf, und er erbrach eine Mixtur aus Pillen, Wasser und einer undefinierbaren braunen Flüssigkeit auf die Hose des Kraftsportlers. Sofort eilte eine blonde Schönheit herbei; nicht, um das Überleben des Selbstmörders

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