Gnadenlose Gedanken (German Edition)
sicherzustellen, sondern um die besudelte Hose des Bodybuilders zu retten. Mit wilden Wischbewegungen bearbeitete sie, unter Zuhilfenahme ihres Rocksaumes, den Schoß des Muskelprotzes, dem das sichtlich Freude bereitete. Ein Menschenleben wurde gerettet, und eine neue Romanze war geschaffen. Was wollte man mehr?
Ich wollte erst einmal nur verschwinden, bevor jemand auf die Idee kommen könnte, mir dämliche Fragen zu stellen, wie: „Warum ist der Mann in das Wasser gefallen?“ Oder: „Bekommt man Kotzflecken auch bei vierzig Grad wieder raus?“
Eines war mir jetzt klar. Das Experiment war geglückt. Ich war in der Lage, die Gedanken eines anderen Menschen zu lesen! Ein Problem hatte ich allerdings. Wenn ich die Wahl gehabt hätte, wäre sie bestimmt nicht auf diesen blöden Pillenschlucker gefallen. Vielleicht war es etwas zu voreilig, das Experiment als geglückt zu bezeichnen?
4
Nachdem ich noch eine Weile durch die Gegend gefahren war, kam ich so gegen 16 Uhr wieder zu Hause an. Auch Manfred war von seinem Ausflug in die Literaturszene zurückgekehrt. Er saß in der Küche, und war in seinem Buch vertieft. Als er mich bemerkte, klappte er das Buch zu, einen Daumen als Lesezeichen zwischen die Seiten geklemmt.
„Hallo Robert. Ist alles glattgegangen in der Stadt?“, fragte er.
„Na ja, von „gegangen“ kann man ja bei mir wohl kaum sprechen. Ich würde eher sagen, dass alles rundgerollt ist.“
Dieser Sarkasmus war eigentlich überflüssig, aber er kam immer wieder in mir hoch, ganz von alleine. Manfred traf schließlich keine Schuld daran, dass ich in einem Rollstuhl saß. Niemand konnte etwas dafür, außer mir natürlich. Dieser Sarkasmus diente mir nur als Schutzmauer. Mit ihm wollte ich mir die Menschen auf Distanz halten. Niemand sollte zu nah an mich herankommen können. Ich fühlte mich stets angreifbar, obwohl es natürlich niemand wagte, mir zu Leibe zu rücken. Es war schon seltsam. Ausländer, Asylanten, Schwule und all die anderen Außenseiter unserer Gesellschaft, waren immer wieder Hass und Ablehnung ausgesetzt. Nur die Behinderten nicht, sie wurden einfach ignoriert. Es gab immer noch Menschen, die einer Frau das Leben zur Hölle machen wollten, nur weil sie ein uneheliches Kind hatte. Doch ein Rollstuhlfahrer oder ein Spastiker wurde einfach nicht wahrgenommen. Im Prinzip hatten die Behinderten in Deutschland Narrenfreiheit. Niemand hätte es gewagt, einen Behinderten davon abzuhalten, die gesellschaftlichen Normen zu überschreiten. Allerdings waren sich die Behinderten dieser Freiheit nicht bewusst, oder sie trauten es sich nicht, sie auszuleben.
Manfred verzog die Mundwinkel. Er hatte sich an meinem Sarkasmus bereits gewöhnt, und konnte eigentlich ganz gut damit umgehen. Nur manchmal verlor er die Geduld, dies waren die Momente, in denen ich so etwas wie Triumph empfand. Keine Ahnung, wieso. Aber es machte mir immer wieder Spaß, Manfred aus der Reserve zu locken. Wahrscheinlich, weil er immer so ruhig blieb, und es mir nur höchst selten gelang.
„Musst du denn ständig dein Selbstmitleid in diesen schwarzen Humor verstecken? Ich finde, du solltest dich langsam einmal damit abfinden, dass du trotz deiner Querschnittslähmung kein nutzloser Mensch bist. So viele Behinderte, die übrigens noch mehr eingeschränkt sind als du, machen eine Menge aus ihrem Leben. Mensch, Robert! Du warst doch ein Spitzensportler! Warum machst du damit denn nicht weiter? Mit deinem Talent könntest du schon bald einen Rekord nach dem anderen brechen!“
„Ja. Rekorde von Krüppeln! Hast du einmal die Wettbewerbe der Paralympics verfolgt? Was da für Kreaturen rumhampeln? Das ist ein erbärmliches Schauspiel. Das erinnert mich immer an die Gaukler und Freaks, die im Mittelalter für die Volksbelustigung sorgten. Wenn ich an so einem Wettbewerb teilnehmen würde, hätte ich Angst, die Zuschauer könnten mir zur Belohnung Bananen zuwerfen. Du kannst leicht Sprüche machen! Du sitzt da auf deinem fetten Arsch und schwingst große Reden! Hast du eine Vorstellung davon, wie erniedrigend es ist, mit einem Rollstuhl unterwegs zu sein? Wenn du immer zu den anderen Menschen aufsehen musst? Ich bin einmetersechsundachzig groß, doch wenn ich durch die Strassen rolle, dann sehe ich nur auf die Beine der Menschen. Wenn ich mit jemanden auf gleicher Augenhöhe zusammentreffe, dann ist es ein Kind, das dann seine Mutter fragt, was denn mit mir los sei. Und weißt du, was die Mütter dann
immer
antworten?
Weitere Kostenlose Bücher