Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Titel: Gnadenlose Gedanken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wagner
Vom Netzwerk:
Natürlich hatte er Pläne. Pläne, in denen ich noch nicht einmal eine Randfigur spielte. Ich war doch nur ein Job für ihn, eine kurze Episode in Manfreds Leben. In zehn Jahren würde Manfred von mir sprechen, als „den Typ, den ich damals betreut hatte, bevor ich das Studium begonnen hatte. Wie hieß er denn noch gleich?“
    Dann werde ich schon den achten oder zwölften Pfleger verschlissen haben, einen nach dem anderen.
    Wieder einmal tat ich mir leid. Ich musste etwas zu meiner Unterhaltung tun, mir etwas Abwechslung und Ablenkung verschaffen. Vielleicht sollte ich das Handy in die Hand nehmen, und antesten, ob meine Eltern bereits aus Genf zurückgekehrt waren? Ich hätte da noch einige Fragen an meine Mutter gehabt.

    Ohne zu zögern, oder nach Ausflüchten zu suchen, hatten meine Eltern zugesagt, mich heute zu besuchen. Wahrscheinlich hatten sie mal wieder ein schlechtes Gewissen, vermutlich weil sie ohne mich in die Schweiz gereist waren. Das war natürlich absoluter Blödsinn, ich wäre selbstverständlich nicht mitgefahren, selbst wenn sie mich darum gebeten hätten. Aber das hätte zu ihnen gepasst. Sie hätten schon ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn ein Nachbar an der Grippe erkranken würde. Sie fühlten sich für das gesamte Unheil dieser Welt verantwortlich, und sie brauchten das auch.

    Nun saßen sie mir gegenüber. Wie immer schaffte es mein Vater, mich nicht anzusehen, wie immer schaffte es meine Mutter, mich
so
anzusehen, als ob
sie
für das Elend auf Rädern verantwortlich sei, aber sofort bereit wäre, alles dafür zu tun, um mein Leid zu schmälern.

    „Wie war es denn in Genf, hat es euch gefallen?“

    Ich wollte nicht allzu gnadenlos sein, und ihnen die Chance bieten, wenigstens
etwas
aufzutauen, bevor ich auf den eigentlichen Grund meiner Einladung zu sprechen käme. Doch sie wirkten auf mich wie immer. Dass sie auf der Couch um einiges niedriger als ich im Rollstuhl saßen, erleichterte es ihnen auch nicht gerade. Meine Mutter sah verängstigt zu mir hinauf, als könnte ich jeden Moment aus meinem Rollstuhl springen, um sie aufzufressen. Mein Vater sah an mir vorbei, als könnte er dadurch einem bösen Zauber entgehen, den ich über ihn legen wollte.
    Wie immer antwortete meine Mutter. Mein Vater war wohl der Meinung, dass er in seinem Beruf genug redete, also vermied er es im Privatleben, soweit ihm dies möglich war.
    „Ach, Robert!“, stöhnte meine Mutter.
    „Wie gerne hätten wir es gesehen, wenn du uns hättest begleiten können. Aber es waren doch nur ein paar Tage, und Papa war ja auch dauernd mit seinen Kollegen zusammen. Du hättest dich bestimmt zu Tode gelangweilt, so alleine mit mir.“

    Sie hatte ihre Augenbrauen tief heruntergezogen, und sah so traurig aus, als hätte sie mir gerade eine tödliche Dosis Zyankali verabreicht. Mit ihren braunen Augen sah sie mich an, als wollte sie sagen, wie gerne
sie
an meiner Stelle wäre, wie gerne
sie
für mich die Qualen erleiden würde, die ich litt.
    „Mama, du weißt doch ganz genau, dass ich nicht mitgekommen wäre. Selbst wenn die Möglichkeit bestehen würde, als Rollstuhlfahrer einigermaßen menschenwürdig zu reisen, wäre ich hier geblieben.“

    Mit Genugtuung verspürte ich das Stechen hinter dem rechten Ohr. Ich kommentierte es mit einem Grinsen, was meine Mutter noch mehr verunsicherte.

    [Warum ist er nur immer so zynisch? Verbessert er damit seine Situation, kann er
so
leichter damit fertigwerden? Wenn er doch nur nicht immer so viel alleine sein würde. Früher hatte er so viele Freunde. Heute igelt er sich zu Hause ein, und nur dieser Manfred ist bei ihm. Ob das der richtige Umgang für ihn ist? Er wirkt immer so ungepflegt und unsympathisch auf mich. Ich kann mir kaum vorstellen, dass
er
meinen kleinen Jungen so behandelt, wie er es bräuchte. Vielleicht hätten wir Robert doch zu uns nehmen sollen, damals, nach diesem schrecklichen Unfall? Aber hätten wir denn die Zeit und die Kraft gehabt, ihn so zu versorgen, wie es seine Behinderung verlangt? Erich hat doch nie Zeit für ihn gehabt! Ich hätte, wie immer, alleine dagestanden. Er hätte sich wieder in sein Büro geflüchtet, und ich hätte die ganze Arbeit gehabt. Ich hätte es nie über mich gebracht, Robert zu waschen, oder ihm auf die Toilette zu helfen. Mein Gott! Er ist doch kein Baby mehr! Er ist schon ein Mann, er hat den Körper eines Mannes. Ich hätte ihn nie da… da unten anfassen können. Schon der Gedanke ist mir zuwider! Jetzt macht er

Weitere Kostenlose Bücher