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Gnadenthal

Gnadenthal

Titel: Gnadenthal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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er täglich das Haus ‹verlassen durfte›, um zur Arbeit zu gehen. Paul war nicht einmal ein Jahr alt gewesen, da hatte sie einen Krippenplatz für ihn gefunden und sich selbst eine Stelle an einer Schule besorgt.
    Und dann war der Crohn ausgebrochen.
    Natürlich liebten sie Paul, doch auch wenn sie sich nicht trauten, es auszusprechen, so wussten sie doch beide, dass sie eine falsche Entscheidung getroffen hatten.
    Er selbst hatte mittlerweile, bis auf die Arbeit mit der ‹13›, alles aufgegeben, was ihn aus dem Haus führte, seine Theater-AG, den Literaturkreis, das Tennisspielen. Es machte ihm nicht allzu viel aus, er fand genug Freude und Bestätigung in seinem Beruf. Im Gegensatz zu Bettina war er mit Leib und Seele Lehrer und Pädagoge, er kam mit den Kollegen aus, er mochte Kinder, und die Schüler mochten ihn.
    Sein Talent und seine Liebe zur Schauspielerei hatte er erst entdeckt, als er schon im Studium gewesen war, und es war sinnlos, darüber nachzugrübeln, welche Wendung sein Leben hätte nehmen können, wenn er sich damals getraut hätte, ins kalte Wasser zu springen.
    «Hallo, mein Großer!»
    Paul zuckte erschrocken zusammen. Sein Gesicht zeigte deutliche Spuren von getrockneten Tränen. Hatte ihn das Spiel so aufgeregt, oder waren Bettina und er wieder einmal aneinander geraten?
    «Hallo, Papa …» Paul drehte sich wieder zum Bildschirm um. «Ich muss nur noch zwei Level.»
    «Prima! Dann speichere mal ab. Ich habe nämlich Hunger, und du kannst mir beim Kochen helfen.»
    «Mann!» Paul zog einen Flunsch, aber Janicki legte seine Hand auf die Maus. «Soll ich’s für dich speichern?»
    «Das kann ich alleine!»
    «Fein.»
    Der Bildschirm wurde dunkel, und Paul rutschte vom Stuhl. «Mama hat wieder Crohn, aber sie hat gesagt, sie hat noch Pizza in der Kühltruhe, und die macht sie mir, wenn sie nicht mehr brechen muss.»
    Janicki fuhr seinem Sohn durch das widerspenstige Haar. «Hast du geweint?»
    «Nö …»
    «Du hast aber ein ganz verschmiertes Gesicht. Am besten, du wäschst dir das ab, und ich guck in der Zeit, ob ich was Besseres finde als Pizza.»
    «Ich will aber … Ich möchte aber bitte Pizza.»
    Janicki lächelte. «Mal sehen. Jetzt lauf und wasch dich!»
    Dann ging er ins Wohnzimmer zurück. Bettina hatte sich noch nicht bewegt.
    Er wusste nicht, wie viele Bücher er inzwischen über Morbus Crohn gelesen, wie oft er im Internet recherchiert hatte in den Zeiten, in denen es ihr schlecht ging. In den Monaten dazwischen taten sie beide so, als gäbe es die Krankheit nicht, oder redeten sich ein, es wäre ein für alle Mal ausgestanden. Manche Experten gingen davon aus, dass eine psychische Stresssituation einen neuen Schub auslösen konnte, und er neigte dazu, ihnen Glauben zu schenken. Was mochte es diesmal gewesen sein? Bettinas Herz hing nicht an der ‹13›, sie war nicht erpicht darauf, auf der Bühne zu stehen, erlebte dabei nicht den Kick, den er selbst empfand. Aber vielleicht täuschte er sich auch.
    Er zog die Rollläden hoch und öffnete die Terrassentür. «Ich lass mal ein bisschen Luft rein, ja? Hast du was gegessen?»
    «Ich konnte nicht.» Sie fuhr sich mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen. «War’s schön?»
    «Wie bitte?»
    «Ich meine Martin und Dagmar, seid ihr vorangekommen?»
    «Ach so, ja, wir haben eine Menge geschafft. Ich glaube, das könnte ein verdammt gutes Programm werden.»
    «Und Frieder? Ist er noch aufgetaucht?»
    «Nein, der ist immer noch verschollen. Aber was soll’s? Zur Not kriegen wir das auch ohne ihn hin.»
    Bettina setzte sich vorsichtig auf und stellte die Füße auf den Boden. «Wie spät ist es eigentlich?» Sie fand ihre Armbanduhr auf dem Tisch. «Meine Güte, schon halb eins! Dann sitzt Paul schon fast drei Stunden vor dem Computer. Ist er okay?»
    «Ihm geht’s gut. Du weißt doch, dass du was essen musst.»
    «Hab ich ja, ich hab Müsli gegessen.»
    «Wann?»
    «Gestern.»
    Die Wut, die ihn plötzlich überfiel, war nur allzu vertraut.
    Sie rappelte sich langsam auf. «Geht ja schon wieder», murmelte sie und streckte die Hand nach ihm aus. «Komm her und halt mich ein bisschen, und dann kümmere ich mich ums Mittagessen.»
    Er nahm sie in die Arme. «Du kümmerst dich um gar nichts. Sind die Schnitzel noch im Kühlschrank, oder hast du sie eingefroren?»
    «Im Kühlschrank, und im Gemüsefach ist noch ein halber Blumenkohl.»
    «Hallo!» Paul kam hereingeflitzt, sein Pullover war vom Halsausschnitt bis zum Bund

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