Gnadenthal
Arschloch.»
Haferkamp lachte. «Ach so, ist klar. Frieder macht also Urlaub auf Hawaii.»
«Nicht nur Urlaub, Flitterwochen.»
Haferkamp verschlug es für einen Augenblick die Sprache. «Flitterwochen?», stammelte er. «Frieder? Du machst Witze.»
«Das ist kein Witz. Er hat vor drei Wochen geheiratet, in Las Vegas.»
«Patricia?»
«Wen sonst?»
Haferkamp verkniff sich die Antwort.
«Na, jedenfalls hat mir seine Sekretärin die Telefonnummer von seinem Hotel gegeben, und vorgestern hab ich ihn erreicht. Der ist auf Wolke Sieben, sag ich dir, total happy, und er lässt alle schön grüßen.»
Fünf
Im Zimmer war es dämmrig, und es roch leicht nach Erbrochenem.
Bettina lag mit geschlossenen Augen auf dem Sofa und atmete flach durch den Mund. Auf dem Boden neben ihr stand ein Plastikeimer.
Kai Janicki wurde die Kehle eng. Sie war so dünn geworden.
«Hallo, Liebes.»
«Hallo», flüsterte sie und lächelte zittrig.
Er kniete sich neben sie und strich ihr das Haar aus der Stirn. «Du hast ja Fieber.»
«Nur ein bisschen.»
«Mein Gott», stieß er hervor, «warum hast du denn nichts gesagt? Ich wäre doch gar nicht gefahren, wenn ich gewusst hätte, dass es dir so schlecht geht.»
Sie strich ihm beschwichtigend über den Arm. «Gestern war es noch nicht so schlimm.»
«Hast du deine Medikamente genommen?»
«Natürlich.»
Er kam wieder auf die Beine. «Und wo steckt Paul?»
«Sitzt am Computer. Ich habe ihm ein Spiel eingelegt.» Sie verzog das Gesicht. «Tut mir Leid.»
«Herrgott, Bettina, du musst dich doch nicht entschuldigen. Ich seh mal nach ihm.»
Sie krümmte sich leicht und nickte.
Janicki ging hinüber in ihr gemeinsames Arbeitszimmer.
Sein Sohn bemerkte ihn gar nicht. Die Zunge zwischen die Lippen geklemmt, klebte er dicht vorm Bildschirm und fuhrwerkte wild mit der Maus. Seine glasigen Augen und die heißen Wangen sprachen Bände.
Mit ihrer Tochter waren sie damals viel konsequenter umgegangen. Der PC war tabu gewesen, und fürs Fernsehen hatte es feste Regeln gegeben. Erst als sie fünf gewesen war, hatte sie einige ausgewählte Kindersendungen schauen dürfen, und das auch nur viermal in der Woche für höchstens eine halbe Stunde. Und immer waren Bettina oder er dabei gewesen, um mitzulachen, zu erklären und, wenn nötig, zu trösten. Paul nannte mit seinen fünfeinhalb Jahren eine stattliche Sammlung Kindervideos und PC-Spiele sein Eigen und konnte schon seit langem sowohl den Videorecorder als auch den Computer bedienen.
Die Jahre mit ihrer Tochter waren nur so verflogen, ausgefüllt mit Nestbau und interessanten Urlaubsreisen zweimal im Jahr. Erst als Eva sich angeschickt hatte, zum Studium nach Süddeutschland zu gehen, hatte Bettina von einem zweiten Kind gesprochen. Sie war ganz begeistert gewesen von dem Gedanken, ihren Beruf aufzugeben, um nur noch für das Kind da zu sein und in ihrer Freizeit endlich wieder ernsthaft Musik zu machen, vielleicht sogar wieder in einem Orchester zu spielen. Und er hatte sie bei diesen Plänen voll und ganz unterstützt, denn er wusste, wie unglücklich sie in ihrem Beruf war.
Als er sie kennen gelernt hatte, war sie am Konservatorium gewesen, hatte Konzertgeigerin werden wollen, aber irgendwann hatte sie den Konkurrenzdruck nicht mehr ertragen und das Handtuch geworfen. Stattdessen war sie Lehrerin geworden – und hatte es beinahe vom ersten Arbeitstag an bereut.
Trotz ihrer vierundvierzig Jahre war Bettina sofort schwanger geworden, in dem Alter natürlich eine Risikoschwangerschaft, aber das war ihr ein willkommener Grund gewesen, sofort aus dem Schuldienst auszuscheiden. Befreit von Stundenplänen, kleinkarierten Kollegen und gelangweilten Schülern, war nach und nach wieder die lebensfrohe, neugierige Frau zum Vorschein gekommen, in die er sich verliebt hatte. Sie hatten die Zeit der Schwangerschaft beide genossen und noch nicht einmal besonders darunter gelitten, dass ihre große Tochter aus dem Haus war, schließlich hatte ein neuer Lebensabschnitt vor ihnen gelegen.
Eva war ein pflegeleichter Säugling gewesen, ein fröhliches, ausgeglichenes Kleinkind, das man gern um sich hatte. Paul hingegen hatte vom ersten Lebenstag an seinen eigenen Kopf gehabt. Er schlief wenig, war immer in Bewegung, immer auf Entdeckungsreise und nie um einen Machtkampf verlegen. Die ersten Monate mit dem Kleinen waren ein Albtraum gewesen, Bettina war eingesponnen in Depressionen, mal weinend vor Erschöpfung, mal voller Hass auf ihren Mann, weil
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