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Gnadenthal

Gnadenthal

Titel: Gnadenthal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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gönne.»
    Einen Augenblick lang starrte sie ihn nur an. «Aber … aber es ist unser Geld, Rüdiger, unser gemeinsames Geld. Du kannst doch nicht einfach …»
    «Gut, dass du das ansprichst», unterbrach er ihr Stammeln. «Auch darüber habe ich gründlich und lange nachgedacht. Ab heute werden wir getrennte Konten haben. Hier mein Geld, dort dein Geld, damit es zu Szenen wie dieser gar nicht erst kommt.»
    «Was?!»
    Rüdiger ließ sich in seinen Sessel fallen und schloss die Augen. «Wach doch endlich auf, Dagmar! Du wirst fünfzig, Liebste, fünfzig. Da läuft nichts mehr.»
    Sie schluchzte auf und schlug die Hände vors Gesicht.
    «O bitte, Dagmar, nicht wieder die Märtyrermasche. Ich weiß ja, dass es nicht deine Schuld ist, verflucht! Aber darum geht es nicht mehr, kapier das doch. Ich will endlich mein Leben genießen, meins, Dagmar, mein eigenes, beschissenes, kleines Leben, das, was davon übrig ist.» Er seufzte. «Verstehst du das?»
    Sie presste die Fäuste gegen die Augen und taumelte hinaus.
    «Und du solltest das auch tun», rief er ihr hinterher. «Um deinetwillen!»

Sechs
    Die Vergrößerung eines Fotos vom Kleinkunstfestival in Essen, das musste 1980 gewesen sein, alle Mitwirkenden auf der Bühne beim großen Finale.
    Haferkamp musste unwillkürlich grinsen, als sein Blick auf die platinblonde Frau mit den Silberstiefeln fiel. An ihren Namen konnte er sich nicht erinnern, wohl aber an ihren grottenschlechten Auftritt, eine schlüpfrige Nummer auf Stammtischniveau. Die Dame war es nicht müde geworden zu erzählen, dass sie schon einmal im Fernsehen aufgetreten war, und hatte jedem, der nicht rechtzeitig die Beine in die Hand genommen hatte, ihre Autogrammkarte aufgedrängt. Schon bei den Proben hatte sie sich aufgeführt wie eine Diva, dem Veranstalter eine armlange Cateringliste präsentiert – Haferkamp hatte bis dahin nicht einmal gewusst, dass es so etwas gab –, am Maskenbildner herumgenörgelt und die Kollegen schikaniert. Alle hatten zähneknirschend den Mund gehalten.
    Und dann Dagmar, ausgerechnet die gutmütige, nette Dagmar. Sie hatten hinter der Bühne auf das Finale gewartet, die Diva nervös trippelnd im blauen Kostümchen und mit blitzenden Silberstiefeln.
    Dagmar, entspannt an der Wand lehnend, die Ruhe in Person. «Silberne Stiefel …», hatte sie versonnen gemurmelt.
    Die Diva hatte an ihrem Revers herumgezupft und ein wenig atemlos gelacht. «Ja … ja. Gefallen sie dir nicht?»
    «Nun ja, ich würde so was nie anziehen, aber … zu dir passen sie.» Freundliches Lächeln.
    Die Diva hatte gekichert. «Die hat mir eine Freundin geschenkt. Kommen aus Italien.»
    «Nichts anderes hätte ich erwartet», war es leichthin zurückgekommen.
    Unterdrücktes Prusten aus verschiedenen Ecken.
    Die Diva bekam einen fleckigen Hals, wollte sich abwenden, aber Dagmar hatte leise gelacht. «Irgendwie erinnerst du mich an ‹Flash Gordon›.»
    Auch die Diva hatte wieder gelacht, verwirrt, aber hoffnungsfroh. «Ja? Witzig … aber eigentlich, wenn ich ehrlich bin, ich weiß gar nicht … Wer ist denn das, ‹Flash Gordon›?»
    Und Dagmar just in dem Moment, als der Moderator die Diva auf die Bühne bat: «Das ist eine Comicfigur.»
    Haferkamp erinnerte sich an den lautlosen Applaus der anderen hinter der Bühne, an Dagmars unschuldiges Gesicht und an seine Erleichterung, dass er sich nie eine Frau zum Feind gemacht hatte, damals jedenfalls noch nicht.
    Sein Magen knurrte, und er schaute auf die Uhr. In einer Viertelstunde würde sein Lieblingsgrieche öffnen, aber nach dem schönen Abend gestern mit Dagmar und Kai stand ihm eigentlich der Sinn nicht nach einem einsamen Essen im Restaurant, schon gar nicht an einem Sonntag, wenn alle in Familie machten und schlecht erzogene Fünfjährige zwischen den Tischen herumflitzten. Auf ein Butterbrot oder Eier mit Speck hatte er auch keine Lust.
    Wenn er jetzt eine Zigarette rauchte, wäre der Hunger für eine ganze Weile vergessen.
    Er betrachtete seine Hände – Wurstfinger – und kniff sich in den Bauch, mindestens zwölf Kilo hatte er zu viel drauf, und Übergewicht in seinem Alter war sicher gefährlicher als Rauchen.
    Monika hatte jahrelang an die vierzig Zigaretten am Tag geraucht, bis zu dieser ‹Wellnesswoche› in einem sündteuren Hotel mit irgendwelchem fernöstlichen Tingeltangel. Danach war sie zur militanten Nichtraucherin mutiert. Wenn er von einem Doppelkopfabend kam, hatte sie alle Fenster aufgerissen und manisch seine

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