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Gnadenthal

Gnadenthal

Titel: Gnadenthal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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Kleider in die Waschmaschine gestopft, er hatte duschen und sich gründlich die Haare waschen müssen, bevor er ins Bett durfte. Schließlich hatte es ihm keinen Spaß mehr gemacht.
    Er überlegte, ob er zum Automaten an der Post laufen sollte, aber es goss in Strömen, und außerdem bevorzugte er eine edle englische Marke, die man nur beim Tabakhändler bekam. Morgen vielleicht. Wieder schaute er auf die Uhr. Die Fotos von 1980/81 würde er noch sichten, dann würde er sich eine Pizza kommen lassen, mit Salami, Oliven und Sardellen. Ihm war nach etwas Salzigem nach all dem Wein und Tequila letzte Nacht. Er sollte wieder einmal ein bisschen kürzer treten, also nur ein Bier zum Essen heute. Ausnahmsweise würde er vorm Fernseher essen. Kam sonntags nicht immer ein ‹Tatort›? Normalerweise mochte er keine Krimis, las auch keine, wenn es sich vermeiden ließ, aber heute war ihm nach etwas Anspruchslosem. Eine Programmzeitschrift hatte er nicht, brauchte er auch nicht, schließlich wusste er, wann die Nachrichtensendungen liefen, und was Kulturprogramme anging, hielt ihn Frau Moor auf dem Laufenden.
    Monikas Woche wurde vom Fernsehprogramm bestimmt. Mit den Jahren waren immer mehr ‹Lieblingssendungen› hinzugekommen, zum Schluss war die Kiste jeden Abend gelaufen und am Wochenende fast rund um die Uhr.
    Der Regen war noch dichter geworden. Er stand auf, um das Licht einzuschalten und die Fenster zu schließen. Obwohl er stundenlang gelüftet hatte, hing Walterfangs fauliger Körperdunst immer noch in der Luft.
    Ob der tatsächlich zu Sibylle gefahren war? Womöglich freute sie sich sogar über den Besuch, die beiden schienen sich zu verstehen.
    Ihm lief ein Schauer über den Rücken. Sibylle hatte ihn schon immer irritiert. Was auch immer sie tat oder sagte, es war stets zu viel, zu laut, zu schrill. Wenn sie ihre Haarfarbe wechselte, dann von pechschwarz zu weißblond, und wenn sie auf damenhaft machte, trug sie die Schminke pfundweise auf und zwängte sich in Kostüme mit dicken Goldknöpfen, gemusterte schwarze Nylons und Lackstilettos. Sie sprach entweder mit dunklem, rauchigem Timbre oder mit einer zuckrigen Kleinmädchenstimme. Und immer lag eine versteckte Anklage in ihrem Blick.
    Er hielt sie möglichst auf Abstand, denn er war sicher, wenn man ihr Aufmerksamkeit schenkte, verschlang sie einen mit Haut und Haar. Auf der Bühne war sie bestenfalls mittelmäßig, dennoch hätschelte Frieder sie, indem er in seine Sketche für sie gern die Rolle der Frau einbaute, die klug und gleichzeitig umwerfend sexy war. Selbstverständlich hätschelte er sie, schließlich verfügte Sibylle über wichtige Kontakte. Sie arbeitete im Kultusministerium als ‹persönliche Assistentin› des Ministers, was vermutlich eine nette Umschreibung für ‹Sekretärin› war.
    «Zeitungsartikel», schoss es ihm plötzlich durch den Kopf. Daran waren die Fernsehleute bestimmt auch interessiert.
    Er rollte mit dem Stuhl zur Seite und zog einen schmalen Ordner aus dem Regal. Er hatte nur die wichtigsten Artikel aufbewahrt, die Berichte aus Lokalteilen und Käseblättern interessierten ihn nur am Rande, die fielen eher in Walterfangs Ressort, aber auch Frieder sprach manchmal von seinem lückenlosen ‹Archiv›. Eine Weile blätterte er hin und her, las einzelne Passagen noch einmal und wählte schließlich eine Besprechung ihres 98er Programms in der ‹Zeit› aus, die anlässlich ihrer zweiten Nominierung zum ‹Deutschen Kleinkunstpreis› erschienen war.
    Dann nahm er sich die Fotos vor: der Beginn des Iran-Irak-Krieges, die Attentate auf Reagan und den Papst, Prinz Charles heiratet Diana, John Lennon wird erschossen.
    Der kabarettistische Blick auf die Ereignisse der Welt war ihnen immer Programm, ja Pflicht gewesen. Was auch immer passierte, sie, zumindest die Schreiber unter ihnen, hatten schon den Kommentar im Kopf.
    Hatte ihn das abgestumpft, zynisch gemacht? «Du lässt doch gar nichts an dich heran!» Wie oft hatte Monika ihm diesen Satz oder Variationen davon um die Ohren gefetzt?
    Es war wohl eher andersherum: Man brauchte eine gewisse Abgeklärtheit, Gelassenheit und Autonomie, um Kabarett zu schreiben.
    Autark war er schon sehr früh gewesen, er hatte es werden müssen.
    Die Ehe seiner Eltern war unerträglich gewesen, kein Miteinander, kein Verständnis oder Verzeihen, keine Wärme, kein Respekt auf beiden Seiten, nur ein ständiger Kampf um Machtanteile. Streiten, Schreien und als gegenseitige Bestrafung tage-,

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