Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gnosis

Gnosis

Titel: Gnosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
Vom Netzwerk:
visuellen Spektrums. Wie das Gehirn multiple sensorische Stimuli über disparate Bereiche hinweg integriert, ist ein noch größeres Geheimnis.»
    «Du meinst also, dass dein Gehirn nicht anzapfen kann, was ich empfinde, weil man gar nicht weiß, wie unser Gehirn funktioniert?»
    «Ich sage nur, es gibt keine Möglichkeit, dass du oder ich herausfinden könnten, was da passiert, angesichts der Tatsache, dass niemand ernstlich begreift, wie Bewusstsein funktioniert.»
    Stevie schwieg und dachte über Elijahs Worte nach. Dann sagte er: «Na, egal, wie dein Hirn funktioniert, jedenfalls weißt du, dass deine Hippophobie …»
    «Haptophobie.»
    «Meinetwegen auch das … sie hat ihre Wurzeln in der Wirklichkeit. Mann, ich hätte auch Angst, Leute anzufassen, wenn ich jedes Mal alles fühlen müsste, was die fühlen.»
    «Ja», sagte Elijah. Zum ersten Mal seit man ihm seine Kette gestohlen hatte, empfand er so etwas wie Erleichterung. Stevie hatte es erkannt. Seine Haptophobie war berechtigt. Und die Ochlophobie schien ihm auch nicht gänzlich unbegründet.
    Im Grunde seines Herzens hatte Elijah immer gewusst, dass seine Phobien nicht völlig irrational waren. Nachdem er nun den Auslöser kannte, konnte er vielleicht lernen, sie zu kontrollieren.
    «Hey, wollen wir mal ‘ne kurze Pause einlegen?», fragte Stevie. «Ich bin platt.»
    «Was hast du vor?»
    «Erst mal brauch ich ein Nickerchen. Und wie wär’s dann mit einem Film?»
    Elijah wollte Einwände erheben, doch der Wunsch – Stevies Wunsch – wuchs in ihm heran. Er konnte unmöglich nein sagen.
    «Klar», sagte Elijah. Dann: «Natürlich! Kino wäre genau das Richtige!»
    «Wofür?», fragte Stevie misstrauisch.
    «Ein Experiment.»

INTERLUDIUM III
10. SEPTEMBER 2007 – 8:03 UHR MITTELEUROPÄISCHE SOMMERZEIT (112 TAGE BIS ZUR NACHT DES JÜNGSTEN GERICHTS)
     
     
    Zum ersten Mal in seiner Laufbahn kam Solothurn Pfyffer von Altishofen zu spät. Eilig setzte er sein schwarzes Barett auf, als er durch das Haupttor lief. Er hetzte durch das dahinterliegende Labyrinth und erreichte endlich seinen Posten.
    «Hauptmann, es tut mir leid …»
    «Keine Entschuldigungen», bellte sein Vorgesetzter. «Seien Sie froh und dankbar, dass der Oberst noch nicht da ist. Anderenfalls wären Sie diesen Auftrag los.»
    Von Altishofen nickte ernst. Darauf gab es nichts zu erwidern. Nichts auf der Welt hätte den Hauptmann dazu bewegt, ihm seine Verfehlung zu verzeihen. Alles, was er sagte, würde man nur durchkauen und ihm um die Ohren hauen. Am besten hielt er den Mund.
    «Die Schweizer Garde duldet keine Verspätungen. Besonders nicht bei einem Hellebardier mit Ihren Pflichten. Sie sind kein kleiner Junge mehr. Angeblich sind Sie ein Mann. Handeln Sie entsprechend.»
    «Jawohl, Herr Hauptmann.»
    Hauptmann Segmüller schnaubte. «Jetzt melden Sie sich in der Waffenkammer. Heute Abend will ich eine vollständige Aufstellung aller Waffen sehen.»
    «Jawohl, Herr Hauptmann.»
    Segmüller fixierte ihn noch einen Moment, dann wandte er sich ab. Von Altishofens Miene blieb sogar noch starr, als der Hauptmann schon nicht mehr zu sehen war. Die Inventur sollte eine Strafe sein, aber sie machte von Altishofen Spaß. Er mochte die Waffenpflege und fühlte sich zwischen modernen Schnellfeuergewehren und alten Schwertern ausgesprochen wohl.
    Nicht einmal seine Mundwinkel zuckten, als er in den Keller marschierte, obwohl ihn ein paar französische Touristinnen in Versuchung führten, die kicherten und zwinkerten, als er an ihnen vorbeiging. In Wahrheit dachte er an erheblich ernstere Dinge als bloße Brautschau. Dinge, die ihn so sehr beschäftigten, dass er seinen Bus verpasst hatte.
    In die Waffenkammer geschickt zu werden, war eine Erleichterung. Lieber übernahm er eine hirnlose Verwaltungsaufgabe, als Wache zu schieben, wo der leiseste Mangel an Aufmerksamkeit katastrophale Auswirkungen haben konnte. Er kam um die Ecke und betrat den langen Raum. Es roch ein wenig nach Staub und Öl. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, machte er sich daran, die Hellebarden durchzuzählen. Er nahm eine aus dem Regal. Es war angenehm, das Gewicht in der Hand zu spüren.
    Sanft fuhr er mit dem Finger über die Klinge des Beils und den gezackten Dorn am oberen Ende. Über der Klinge ragte ein spitzer Stachel auf. Er schwang die schwere Waffe und hielt den anderthalb Meter langen Griff mit beiden Händen. Unheilverkündend schnitt die Hellebarde durch die Luft, was seinen kräftigen Armen

Weitere Kostenlose Bücher