Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
geschlafen habe. Das ist irgendwie gruselig.
Es ist derselbe Junge, der dabei war, als ich in meinem Glassarg aufgewacht bin. Er hat weiche Gesichtszüge, aber etwas daran lässt mich ahnen, dass er nicht so unschuldig ist, wie er im Schlaf aussieht. Ich bin mir nicht sicher, zu welcher Rasse er gehört – er ist kein Schwarzer und kein Weißer; kein Hispano und kein Asiate. Aber er hat eine hübsche Hautfarbe – ein helles Braun, das perfekt zu seinen fast schwarzen Haaren passt. Seine hohen Wangenknochen und die Form seiner Stirn lassen ihn irgendwie vertrauenerweckend, vielleicht sogar freundlich aussehen.
»Wer bist du?«, frage ich laut. Zum ersten Mal, seit ich aus meinem Jahrhundertschlaf aufgewacht bin, bricht meine Stimme nicht. Die müssen etwas mit meiner Kehle gemacht haben. Allerdings habe ich ziehende Schmerzen im ganzen Körper.
Der Junge zuckt zusammen. Als er mich anschaut, entdecke ich in seinem Gesicht einen Anflug von Schuldbewusstsein – oder Misstrauen. Er sieht sich um, als wäre er überrascht, dass ich mit ihm rede, aber außer ihm ist niemand da.
»Ich, äh … ich bin Junior. Ich bin der zukünftige, äh, Anführer. Also, des Schiffs.« Er steht erst auf und setzt sich dann wieder verlegen hin.
Der zukünftige Anführer des Schiffs? Wieso braucht das Schiff einen zukünftigen Anführer?
»Wo bin ich?«
»Auf der Station«, sagt er, aber ich kann ihn kaum verstehen. Er verschluckt die Hälfte aller Silben, und außerdem spricht er in einer Art Singsang, was total komisch klingt. Sein letzter Satz hört sich ungefähr so an: »Auer Atzion«, und er betont stets die zweite Silbe der Worte.
»Wo ist diese Station?«, frage ich.
»Im Krankenhaus.« (»I Krankas.«)
Ich schaue mich um. Das ist nicht, was ich erwartet habe. »Wieso bin ich im Krankenhaus? Und was machst du hier?«
Ich konzentriere mich nicht vollständig auf ihn und kriege deshalb nicht alles mit, was er antwortet. Der Raum fühlt sich plötzlich kälter an und ich wickle mich fester in die Decke ein. Der zukünftige Anführer des Schiffs. Ja, klar ist er das. Ich sehe ihn mir genauer an. Er hat breite Schultern und gerade so viel Muskeln, dass sie unter seinem Hemd-Tunika-Dings nicht zu sehr auffallen, obwohl ich die harten Umrandungen seines Bizeps sehen kann. Er ist groß, viel größer als ich, aber doch ein Stückchen kleiner als die meisten Leute, obwohl er ungefähr in meinem Alter ist. Er hat allerdings keine gute Haltung – seine Schultern hängen. Sein Gesicht ist schmal, aber freundlich, und seine mandelförmigen Augen haben etwas Durchdringendes. Das alles setzt sich zu dem gewissen Etwas zusammen, das ihn aussehen lässt, als wäre er genau der richtige Typ, um Anführer eines Schiffs zu werden. Es macht fast den Anschein, als hätte Gott gewusst, dass Junior irgendwann so was wie ein Kapitän werden sollte und dass er ihm deswegen das richtige Gesicht und den richtigen Körper dafür verpasst hat.
Ich gleite aus dem Bett, bis meine Füße den Boden berühren. Er ist aber so kalt, dass ich die Knie sofort zum Kinn hochziehe – natürlich unter der Decke, weil das Krankenhausnachthemd nicht wirklich viel von mir verdeckt. »Wie ist er so?«
»Wie ist wer so?« (»Wieswerso?«)
»Der neue Planet.« Obwohl ich eigentlich nicht herkommen wollte und obwohl ich jeden Augenblick der gefrorenen Ewigkeit gehasst habe, schwingt in meiner Stimme doch ein wenig Ehrfurcht mit, die ich nicht verbergen kann. Ein neuer Planet. Wir sind endlich auf dem neuen Planeten. Einem Planeten, den nie ein Mensch zuvor betreten hat.
Der Junge steht auf, geht zur Wand hinüber und dreht mir den Rücken zu. Er wirkt riesig in dem kleinen Raum, als würde er gar nicht richtig hineinpassen. Er erinnert mich ein bisschen an Jason. Nicht vom Aussehen – die Haut des Jungen ist dunkler und er ist muskulöser als Jason –, aber in der Art, wie er steht und geht, als wüsste er ganz genau, wo sein Platz in dieser Welt ist. Er lehnt sich gegen die Wand und betrachtet ein viereckiges Stück Metall, das dort eingelassen ist. An den Rändern ist Licht zu sehen. Es muss eine Art Fenster sein.
»Wirsinnochnich aumPlanetn«, sagt er. Mir war noch nicht bewusst, wie verwirrend sein Akzent tatsächlich ist, bis er sich von mir wegdreht und mir damit unabsichtlich den Blick auf seine Lippen verweigert.
»Was?«, frage ich.
Er dreht sich wieder zu mir um, und diesmal gelingt es mir, seine Worte zu verstehen. »Wir sind noch nicht
Weitere Kostenlose Bücher