Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
lebt.«
Ich schlucke schwer. Es fühlt sich an, als hätte ich einen dicken Kloß im Hals.
Doc nimmt das Ende der Box in die Hand, mit dem die Schläuche im Hals des Mädchens verbunden waren. »Jemand hat die Knöpfe gedrückt«, sagt er. »Das sollte nicht geschehen, solange der Körper nicht für die Wiederbelebung vorbereitet ist. Das hier unterbricht die Stromzufuhr.« Er schaut zu mir auf. »Sie ist abgeschaltet worden. Wären wir nicht rechtzeitig gekommen …« Er wirft einen Blick auf das Mädchen. »… dann wäre sie gestorben.«
Oh, Shit. Mein Magen sackt mir in die Knie. »Einfach so? Tot?«
Doc nickt. »Ich muss den Ältesten informieren.«
»Nein, bitte –«
»Du wirst keinen Ärger kriegen. Du bist dafür nicht verantwortlich. Ich bin sogar froh, dass du hier bist. Der Älteste hat mir erzählt, dass du anfängst, Führungsqualitäten zu entwickeln. Und dies ist eine Situation, aus der du lernen kannst.«
Die Brust des Mädchens bewegt sich auf und ab, aber das ist auch das einzige Lebenszeichen, das sie zurzeit gibt. Ihr Körper sieht außerhalb des Eises ganz anders aus. Sie wirkt kleiner, schwächer und verletzlicher. Das Eis war ihr Panzer. Jetzt will ich sie beschützen und ihre Kurven bedecken, statt mit den Fingern über sie zu gleiten.
Als ich meine Hand auf ihre Schulter lege und über unsere unterschiedlichen Hautfarben staune, macht sie die Augen auf.
»Kalt«, flüstert sie.
Doc starrt auf das Mädchen hinab. »Das ist ein schrecklicher Albtraum.«
Ich will fragen, wie es ein Albtraum sein kann, wenn sie bei uns ist. Aber dann wimmert sie, so leise und mitleiderregend wie das Lamm, das ich einmal als Kuscheltier hatte, und sofort ist der Kloß wieder in meinem Hals.
Doc holt dem Mädchen ein Krankenhausnachthemd, eins von denen, die hinten offen sind, aber sie schreit auf, als wir ihre Arme durch die Ärmel schieben. Dann breitet Doc eine Decke über sie. Sie hält die Augen geschlossen und im ersten Moment denke ich, dass sie schläft, aber an ihrem ungleichmäßigen Atmen erkenne ich, dass sie sich wachhält, um uns zuzuhören.
Wir sagen nicht viel.
Als der Älteste ins Kryo-Deck gestürmt kommt, sieht er erst das Mädchen an, dann mich, dann Doc.
»War er das?«
»Nein!«, protestiere ich sofort.
»Natürlich nicht«, sagt Doc. Dann wendet er sich mir zu: »Er meint nicht dich.« Er sieht wieder den Ältesten an. »Es ist unmöglich, das wissen Sie genau. Sie sind paranoid.«
»Von wem sprechen Sie –«, beginne ich, aber die beiden ignorieren mich.
»Es war eine Fehlfunktion«, sagt Doc. »Die Stromzufuhr zu ihrer Box hat ausgesetzt.« Er hält den kleinen schwarzen Schaltkasten hoch, der auf dem Deckel ihres Glaskastens befestigt war. Sein rotes Warnlicht blinkt immer noch.
»Bist du sicher?«, fragt der Älteste.
Doc nickt. »Natürlich bin ich sicher. Wer sollte hier herunterkommen, das Mädchen reanimieren und wieder gehen? Es war einfach eine Fehlfunktion. Die Anlage ist alt. Ich muss hier ständig irgendetwas reparieren. Sie hat einfach Pech gehabt und ist durch die Kontrollen geschlüpft.«
Noch mehr Lügen. Ich frage mich, wie viel von dem, was Doc sagt, die Wahrheit ist. Schließlich hat er ihre Kühlkammer heute bereits überprüft. Und er war entschieden panischer, als er mir gesagt hat, dass jemand auf den Knopf gedrückt hat, um sie aufzuwecken. Und das war, bevor der Älteste aufgetaucht ist.
Das Mädchen auf dem Tisch stöhnt.
»Wer ist sie?«, fragt der Älteste.
»Nummer 42.«
»War sie –?«
»Unbedeutend.«
»Amy«, krächzt das Mädchen.
»Was?« Ich beuge mich dicht über ihre aufgesprungenen Lippen.
»Mein Name ist Amy.«
Der Älteste sieht sie an. Amy öffnet die Augen – das Grün von frischem Gras blitzt auf –, schließt sie aber sofort wieder, weil ihr die Helligkeit wehtut.
»Dein Name ist ohne Belang, Mädchen.« Der Älteste schaut zu Doc. »Wir müssen herausfinden, wer sie aufgeweckt hat.«
»Wo sind meine Eltern?« Ihre Stimme klingt wie ein schmerzerfülltes Flüstern. Die anderen hören es nicht einmal.
»Können wir sie wieder einfrieren?«, fragt der Älteste. Doc schüttelt besorgt den Kopf.
»Nicht wieder einfrieren!«, sagt Amy panisch. Da sie so lange nicht gesprochen hat, bricht ihre Stimme, und sie muss husten.
»Es geht nicht, selbst wenn wir es wollten«, sagt Doc zum Ältesten.
»Warum nicht? Wir haben noch freie Kühlkammern.« Er zeigt über Docs Schulter zu einer Tür auf der anderen
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