Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
zurück.
»Die Menschen hier zu führen, ist viel wichtiger als irgendein Mädchen.«
Ich nicke. Er hat recht.
»Sie sollte gar nicht hier sein«, murmelt der Älteste. »Wie überaus lästig.«
Ich zerquetsche die Stängel der Blumen in meiner Faust.
»Sie ist lästig?« Jetzt klingt meine Stimme verärgert.
»Ihre Anwesenheit ist schlecht für das Schiff. Andersartigkeit. Die erste Ursache für Unfrieden.«
Ich kann ihm nicht mehr zuhören. Das ist nicht die Art von Führungsqualität, die ich lernen will. Erst gestern hat mir der Älteste gesagt, dass es mein Job ist, die Menschen zu beschützen. Ich wusste nicht, dass er damit nur unsere Leute gemeint hat.
»Jetzt geh zurück aufs Regentendeck und arbeite an deiner Aufgabe.«
»Nein.«
Der Älteste schaut mich erzürnt an. »Nein?«
»Nein.« Ich reiße mich aus seinem Griff los und gehe auf den Fahrstuhl des Krankenhauses zu. Doch bevor die Türen zugleiten können, tritt auch der Älteste in die Kabine.
»Ich habe keine Zeit für deine Kindereien. Ich sage es dir noch einmal. Geh zurück aufs Regentendeck.«
»Nein«, sage ich und versuche, meine Angst zu verbergen. Der Älteste kann Widerstand nicht leiden und ich habe mich ihm bisher noch nie so energisch widersetzt. Ein Teil von mir will alles zurücknehmen, sich entschuldigen und ihm gehorchen wie immer. Ein anderer Teil von mir wünscht sich, dass er mich schlägt, damit ich zurückschlagen kann.
Der Älteste hebt die Hand zu seinem Dra-Kom-Schalter.
»Regent übernimmt; Befehl Ältester«, sagt er. Mein Magen macht einen Satz. Das bedeutet nichts Gutes. »Kommando: Geräuschmodifizierung und -verstärkung von Dra-Kom Junior. Ton und Intensität variieren. Intensität: Stufe drei. Beenden, wenn Subjekt auf Regentendeck.«
Sofort erfüllt ein dumpfes Brummen mein linkes Ohr. Ich drücke die Hand darauf, aber das Geräusch kommt nicht von außen; es kommt aus dem Innern meines Ohrs, aus meiner Dra-Kom. Das Brummen schwillt für eine Sekunde zu einem Kreischen an, ebbt wieder ab und wird dann zu einem unerträglichen Kratzen an meinem Trommelfell.
Ich presse den Finger auf meine Dra-Kom. »Übernehme!«, sage ich. »Kommando: Geräusche abstellen!«
»Ausführung verweigert«, sagt die Frauenstimme meiner Dra-Kom. Mist! Das hier ist nicht wie bei den biometrischen Scannern, bei denen ich denselben Freigabestatus habe wie der Älteste. Dra-Koms sind anders, einzigartig. Der Einzige, der die nervigen Töne wieder abschalten kann, ist der Älteste.
»Lassen Sie das aufhören«, sage ich zum Ältesten. Jetzt habe ich ein brodelndes Geräusch im Ohr, was an sich nicht so schlimm ist, aber jedes Brodeln wird von einem kurzen schrillen Iiep! begleitet, das mich alle paar Sekunden überrascht zusammenzucken lässt.
Die Fahrstuhltüren gleiten auf und wir steigen im Gemeinschaftsraum aus.
»Die Geräusche hören sofort auf, sobald du das Lernzentrum betrittst und bereit bist, zuzuhören und zu lernen«, sagt der Älteste mit aufgesetzter Freundlichkeit. Er aktiviert noch einmal seine Dra-Kom. »Kommando: Intensität auf Stufe vier steigern.« Die Geräusche werden lauter. Der Älteste lächelt mich an. Dann schlendert er aus dem Gemeinschaftsraum zu Docs Büro.
Ich stecke mir den Finger ins Ohr, aber es nützt nichts. Die Dra-Kom ist direkt mit meinem Trommelfell verbunden.
»Schöne Blumen.«
»Orion?« Die Überraschung, den Archivar hier auf der Station zu sehen, wird von dem Lärm in meinem linken Ohr verdrängt. Ich hatte sogar die Blumen vergessen, die ich in der rechten Hand halte. Grüner Pflanzensaft aus den zerquetschten Stängeln rinnt mir über die Finger.
»Ich brauchte ein paar neue Vorräte.« Orion schüttelt eine kleine Plastikdose, in der Pillen herumrasseln. Er muss sie geklaut haben. Niemand darf einen Vorrat an Psycho-Pillen haben – auch wenn er nicht auf der Station lebt, werden ihm die Medis täglich zugeteilt, immer nur eine Pille zu einer bestimmten Zeit.
»Ich will nicht, dass mich der Älteste oder Doc erwischen.« Orion steckt die Pillendose ein.
Ich presse erneut die Hand auf mein Ohr, um die Geräusche zu dämpfen.
Orion lächelt. »Der alte Trick. Es hat keinen Sinn, sich dagegen zu wehren. Es wird nur schlimmer, je länger es dauert.« Er sieht zu, wie ich mir mit der Faust auf mein Ohr schlage. »Tu einfach, was immer er von dir verlangt, oder du wirst wahnsinnig.«
»Woher weißt du das?« Ich werde wütend, aber das liegt daran, dass ich mich kaum auf
Weitere Kostenlose Bücher