Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
auf dem Planeten.«
»Was … was meinst du damit?« Eine Eiseskälte breitet sich in meinem leeren Magen aus.
»Es dauert noch ungefähr fünfzig Jahre, bis wir landen.«
»Was?«
»Tut mir leid. 49 Jahre und 266 Tage. Entschuldige.«
»Wieso hast du mich so früh geweckt?«
»Hab ich nicht!«, protestiert der Junge und wird knallrot im Gesicht. »Ich war das nicht! Wieso gibst du mir die Schuld?«
»Ich will nur wissen, wieso wir alle 49 Jahre und 200 irgendwas Tage zu früh aufgeweckt wurden! Und wo sind meine Eltern?«
Der Junge wendet sich von mir ab. Etwas an seinem Anblick lässt das Eis in meinem Magen rumoren.
»Ihr seid nicht alle zu früh aufgeweckt worden«, sagt er. Seine Augen flehen mich an, endlich zu verstehen, was er meint, und keine Fragen mehr zu stellen.
»Wo sind meine Eltern?«, wiederhole ich.
»Sie sind … unten.«
»Ich will meine Eltern sehen. Ich will mit meinen Eltern reden.«
»Sie …«
»Was ist mit meinen Eltern?«
»Sie sind noch nicht wiederbelebt worden. Sie sind noch eingefroren. Alle sind noch eingefroren – außer dir.«
»Wann werden sie aufwachen? Wann kann ich sie sehen?«
Der Junge verzieht sich in Richtung Tür. »Vielleicht sollte ich den Ältesten holen, damit er dir alles erklärt.«
»Welchen Ältesten? Damit er mir was erklärt?« Mittlerweile brülle ich den Jungen an, aber das ist mir egal. Die Decke ist von meinen Beinen gerutscht. Meine Gedanken überschlagen sich, und ich habe Angst vor den Worten, die der Junge gleich aussprechen wird. Aber er muss sie aussprechen, denn wenn ich es nicht von ihm höre, wird sich mein Gehirn weigern, es zu glauben.
»Äh … also … Die anderen werden erst aufgetaut, wenn wir angekommen sind.«
»In fünfzig Jahren«, sage ich tonlos.
Der Junge nickt. »In 49 Jahren und 266 Tagen.«
Ich war jahrhundertelang eingefroren. Und trotzdem habe ich mich nie so verlassen gefühlt wie in diesem Moment, in dem mir bewusst wird, dass ich wach bin und sie nicht.
16
Junior
Sie fängt an zu weinen. Es sind keine harmlosen Tränen der Trauer. Sie ist so wütend, als hasste sie die ganze Welt oder zumindest das Schiff, das jetzt ihre neue Welt ist. Also tue ich das, was jeder normale Mensch tut, wenn er sich einem weinenden Mädchen gegenübersieht.
Ich mache mich schnell vom Acker.
Ein vertrautes Biep, Biep-Biep ertönt in meinem linken Ohr. »Kom-Verbindung: Ältester«, sagt die freundliche Computerstimme meiner Kommunikationseinheit.
»Ignorieren.«
Der Älteste hatte das Krankenhaus schon verlassen, als Doc noch dabei war, Amy mit aufbauenden Medis zu versorgen. Er hatte nicht geholfen, die Infusionsbeutel aufzuhängen, oder zugesehen, wie aus ihnen drei volle Ladungen Nährlösung und Flüssigkeit in sie getropft sind. Er war nicht dabei, als wir sie in das Bett auf der Station gelegt haben, das Doc für sie gemacht hatte. Er war auch nicht da, als sie aufgewacht ist, saß nicht über sieben Stunden an ihrem Bett, nur damit sie nicht allein aufwachen muss.
Gerade jetzt ist es mir wirklich egal, was er zu sagen hat.
Für mich ist nur Amy von Bedeutung. Vielleicht weint sie nicht mehr so viel, wenn sie mehr von der Godspeed sieht. Wenn ich ihr etwas aus ihrer Heimat bringen würde, etwas, das sie an die Sol-Erde erinnert, wird sie vielleicht …
Ich gehe in den Garten des Krankenhauses. Alles steht in voller Blüte. Am Teich wachsen die großen orangefarbenen und gelben Blumen, die mit den Streifen, die fast so aussehen wie Amys Haare.
Ich brauche einen Augenblick, um sie zu finden; es sind nur noch ein paar Blüten übrig, die über dem Wasser des Teichs hängen. Ich knie mich hin und kümmere mich nicht um die Nässe, die meine Hosenbeine durchweicht. Ich pflücke ein halbes Dutzend Blumen. Die Blütenblätter sind so lang wie meine Finger, an den Enden eingerollt, und ihr honigsüßer Duft steigt mir in die Nase.
»Junior.«
Shit. Ich drehe mich zum Ältesten um. Meine Finger krallen sich um die Stängel der Blumen.
»Du hast meinen Ruf ignoriert.« Seine Stimme klingt verärgert.
»Ich hatte zu tun.«
Sein eiskalter Blick fällt auf die Blumen in meiner Hand. »Offensichtlich.«
Ich gehe zurück ins Krankenhaus. Der Älteste folgt mir.
»Du vernachlässigst deine Pflichten. Du musst noch die Aufgabe erledigen, die ich dir gestern gestellt habe.«
»Das kann warten.«
Ich will die Stufen zum Krankenhaus hochsteigen, aber der Älteste packt mich am Kragen und zerrt mich
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