Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
Stecker rausziehen? Um mich zu töten? Wieso ausgerechnet mich? Immerhin bin ich, wie der Älteste so freundlich erwähnte, ohne Bedeutung.
Und dann fällt mir eine weitere, viel wichtigere Frage ein. »Was ist mit meinen Eltern? Wird derjenige, der mir das angetan hat, es auch mit ihnen machen?« Ich erinnere mich noch gut an das Gefühl, in der Kryo-Flüssigkeit zu ersticken. Ich will nicht, dass meine Eltern das ebenfalls durchmachen. Ich will das Risiko nicht eingehen, sie womöglich für immer zu verlieren, falls ihre Kästen nach dem Schmelzen des Eises zu spät geöffnet werden.
»Geh in dein Zimmer und ruh dich aus. Versuch, diese Gedanken nicht zu denken. Du kannst sicher sein, dass deine Eltern – und alle anderen Eingefrorenen – geschützt sind. Dafür wird der Älteste sorgen.«
Ich sehe ihn misstrauisch an. Ich bezweifle sehr, dass der alte Mann irgendetwas tun wird, um anderen zu helfen. Wahrscheinlich betrachtet er es ebenfalls als »Störung«, Wachen in der Kryo-Abteilung aufzustellen. Und so gefühllos, wie er ist, würde es mich vielleicht doch nicht überraschen, wenn er derjenige war, der meinen Stecker rausgezogen hat – nur um zu sehen, ob mich das umbringt oder nicht.
Hier kann ich nicht überlegen, was ich tun soll. Ich will mich zwar nicht ausruhen, aber ich muss mit meinen Gedanken allein sein. Also gehe ich.
Vor meiner Tür liegt ein Büschel zermatschter Blumen. Ich hebe sie auf. Die Blüten erinnern mich an Tigerlilien, aber sie sind größer und leuchtender als alle Tigerlilien, die ich von der Erde kenne. Obwohl sie abgeknickt sind, möchte ich sie ins Wasser stellen – sie sind hübsch und duften süß. Schließlich lasse ich sie doch auf dem Gang liegen. Sie erinnern mich zu sehr an mich.
18
Junior
»Da bist du ja«, sagt der Älteste beiläufig, als er aus der Luke steigt, die das Technikdeck mit dem Regentendeck verbindet.
Ich liege auf dem kalten Metallboden unter dem Schirm, der die unechten Sterne verbirgt. Mein Kopf dröhnt von den unerträglichen Geräuschen in meinen Ohren. So schlimme Kopfschmerzen hatte ich noch nie. Jedes Mal wenn ich meinen Kopf bewege, fühlt es sich an, als würde ein tonnenschweres Gewicht gegen meinen Schädel schlagen und mein Gehirn zu nutzlosem Matsch zerquetschen. Deswegen versuche ich, so still wie möglich dazuliegen.
»Das war ein schmutziger Trick«, murmele ich und presse die Hände gegen meine Stirn.
»Was? Ach so, die Geräusche. Dann ignorier mich beim nächsten Mal nicht.«
»Ich mache, was ich will!« Ich starre an die matte Metalldecke und bin froh, dass die Sternenkarte verborgen ist. Nur an die kleinen Lichtpunkte zu denken, lässt meine Kopfschmerzen noch schlimmer werden.
Der Älteste geht durch den Großen Raum in seine Kammer und taucht kurz darauf wieder auf. Er wirft mir etwas zu. Ein lavendelfarbenes Medipflaster. Ich reiße es auf und klebe es mir direkt auf die Stirn. Die feinen Nadeln verhaken sich in meiner Haut wie Klettband. Ich atme tief ein und warte sehnsüchtig darauf, dass das Mittel wirkt und meine hämmernden Kopfschmerzen lindert.
»Lass dir das eine Lehre sein«, sagt der Älteste. »Aufgabe des Ältesten ist es, Unfrieden zu vermeiden. Im Lauf der Jahrhunderte haben wir durch die Ausmerzung der Unterschiede die erste Ursache für Unfrieden erfolgreich bekämpft.«
»Ich weiß«, stöhne ich und drücke das Medipflaster auf meiner Stirn fester auf die Haut. Muss er mir unbedingt jetzt einen Vortrag halten?
»Siehst du das denn nicht?«, stößt er schließlich gereizt hervor. »Dieses Mädchen könnte gar nicht andersartiger sein!«
»Und?«
Der Älteste hebt die Hände. »Chaos! Unfrieden! Streit! Sie ist nichts als ein Ärgernis!«
Ich hebe eine Braue und bin froh, dass das Medipflaster allmählich seine Wirkung tut. »Ist das nicht ein wenig übertrieben?«
Der Älteste lässt seine Hand sinken und funkelt mich an. »Sie könnte das Schiff vernichten.«
»Sie ist doch nur ein Mädchen.«
Der Älteste knurrt.
»Moment mal …«, sage ich, setze mich auf und starre ihn an. »Das ist es, nicht wahr? Sie ist ein Mädchen und in meinem Alter. Sie haben Angst, dass wir …« Schon bei dem Gedanken glüht mein Gesicht. Falls der Älteste wirklich Angst davor hat, was Amy und ich zusammen tun könnten, muss ich gestehen, dass mich dieser Gedanke hoffnungsvoll stimmt.
»Sei nicht albern«, lacht der Älteste, und mein Gesicht glüht noch mehr. »Darüber mache ich mir überhaupt keine
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