Godspeed Bd. 2 - Die Suche
mir.
Keine Wände mehr.
Ich wende mich vom toten Luthor ab und gehe durch die Tür. Ich schließe sie hinter mir und bemühe mich sehr, nicht noch einmal durch das Bullauge zu sehen.
Ich beginne, den richtigen Code in das Tastenfeld einzutippen.
G-o-d.
Ich zögere.
Unter meiner Tunika fühlt sich mein goldenes Kreuz an der Kette plötzlich viel schwerer an, als wollte es mich abwärtsziehen. Ich spüre die missbilligenden Blicke meiner Eltern im Rücken, obwohl sie doch eingefroren in ihren Kammern liegen. Ich bin im Begriff, einen Mord zu vertuschen.
Den Mord an einem widerlichen Kerl, der den Tod verdient hat.
Aber dennoch ein Mensch.
Aber er hat es verdient.
Ich denke an Victrias tränenüberströmtes Gesicht.
Ich kann nichts mehr tun; er ist schon tot.
Ich könnte es Junior sagen.
Aber was, wenn ich recht habe, und Junior hat …
Hastig tippe ich den Rest des Codes ein.
Die Außenluke springt auf und Luthors Leiche fliegt hinaus.
Er ist weg.
Für immer.
53
Junior
Ich erreiche das Regentendeck erst ein paar Minuten vor dem Abschalten der Solarlampe – zur gewohnten Zeit – und eile sofort ins Zimmer des Ältesten, öffne seinen Schrank und hole die Regentenrobe heraus. Auf den Schultern funkeln Sterne und am Saum ist ein Planet zu sehen. Diese Robe symbolisiert alle Hoffnungen und Träume, die mein Volk je hatte. Und heute Abend werde ich diese Träume wahr werden lassen.
Ich aktiviere meine Dra-Kom für einen Allruf. »Alle Bewohner der Godspeed haben sich unverzüglich auf dem Regentendeck einzufinden«, sage ich und breche die Verbindung danach sofort ab. Ich will keine Zeit mit weiteren Worten verschwenden.
Ich nehme die Robe vom Bügel und lege sie an. Bisher kam sie mir immer viel zu groß vor. Aber heute stehe ich mit geradem Rücken da und mit gestrafften Schultern, und sie passt mir wie angegossen.
Wenige Minuten später höre ich, wie die Leute eintreffen. Amy wird nicht dabei sein; sie kann sich unmöglich in eine so große Menschenmenge wagen. Im Grunde bin ich zwar froh, dass sie in ihrem Zimmer in Sicherheit ist, aber eigentlich würde ich nur zu gern die anderen Bewohner der Godspeed sich selbst überlassen und mit ihr auf die Brücke gehen, nur wir beide, ganz allein.
Die Schritte der Leute hallen auf dem Metallboden und sie reden laut miteinander. Es ist kein Vergleich mit dem höflichen Gewisper, das den Großen Raum bei der letzten Vollversammlung des Ältesten erfüllt hat.
Es wird noch eine Weile dauern, bis alle da sind. Ich kann hören, wie Shelby und die anderen Techniker die Leute so organisieren, dass Platz für alle da ist. Außerdem weiß ich, dass sich die Techniker bei den Gruppen positionieren, die vermutlich Ärger machen werden. Ich setze mich auf das Bett des Ältesten. Ich atme ein. Ich atme aus. Ich will nicht sprechen, nicht vor allen Leuten, aber ohne Worte wird es nicht gehen. Ich muss es tun.
Es klopft an der Tür. Ich gehe hin und öffne sie. Shelby schlüpft herein und schließt die Tür hinter sich. Ich frage mich, woher sie wusste, dass ich hier bin und nicht in meinem eigenen Zimmer, aber dann wird mir klar, dass sie vermutlich geahnt hat, dass ich hier sein würde. Dies ist das Zimmer des Ältesten und, ob ich den Titel nun trage oder nicht – ich bin es.
»Ich – oh«, sagt sie, als sie mich sieht.
»Ja?«
»Äh … ist das klug?«
»Was?« Ich folge ihrem Blick. »Die Robe? Der Älteste hat sie getragen.«
»Ja, aber …«
»Was wolltest du von mir?«
»Ich glaube, es sind alle da, Sir«, sagt sie und richtet sich auf.
Einen Moment lang scheint die Robe mich zu verschlucken. Ich zwinge mich zu einer aufrechteren Körperhaltung und gehe zur Tür. Sie zischt auf.
Eine Welle des Schweigens breitet sich in der Menge aus – die Leute im Türbereich verstummen sofort, gefolgt von denen im näheren Umkreis. Und es ist eine Menge . Mir war nie bewusst, wie gewaltig dreitausend Menschen aussehen, wenn sie einen alle anstarren.
Ihre Blicke folgen mir auf dem Weg zum kleinen Podest, das die Techniker für mich errichtet haben.
»Was bildest du dir ein!«, brüllt jemand durch den überfüllten Raum.
Die Leute weichen wie auf Kommando zur Seite und bilden eine Gasse – und durch diese Gasse marschiert Bartie auf mich zu.
»Welches Recht hast du , diese Robe zu tragen?«, schreit er mich an. Sein Gesicht ist knallrot, sogar seine Ohren.
»Ich bin …« Ich kann nicht sagen, dass ich der Älteste bin, denn ich habe diesen
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