Godspeed Bd. 2 - Die Suche
auch hingehe. Meine Unterstützung dürfte ihm mehr schaden als nutzen, und ich kann mir nichts Gefährlicheres vorstellen, als mit allen anderen Bewohnern des Schiffs in einem Raum zusammengepfercht zu sein. Also habe ich stattdessen die letzte Stunde damit verbracht, das Gesicht ans Bullauge der Luke zu pressen und daran zu denken, dass da draußen ein Planet auf mich wartet.
Ich bewege mich erst wieder, als ich Schritte und das Geräusch einer aufzischenden Tür am anderen Ende des Kryo-Decks höre.
Zuerst rühre ich mich nicht, aber dann erinnere ich mich daran, wie wenige Leute Zugang zu diesem Deck haben und so schleiche ich lautlos zurück in den Hauptraum. Die Tür zum Genlabor steht offen.
»Hallo?«, rufe ich.
Von drinnen sind Schluchzer zu hören. Ich gehe durch die Tür. Victria kniet vor Orions Kryo-Kammer. Das dunkle Haar klebt ihr im Nacken und sie streicht mit zitternden Händen eine Strähne hinters Ohr. Der Stuhl, der dort normalerweise steht, ist umgekippt, als wäre sie von der Sitzfläche gerutscht, um noch näher an Orion heranzukommen.
»Wie erträgst du das?«, fragt sie mich mit tonloser Stimme.
»Wie ertrage ich was?«
»Deine Eltern sind doch noch eingefroren, oder? Wie erträgst du es, sie nicht aufzutauen? Sie sind doch so nah.«
Ich antworte nicht. Es ist etwas in ihrer Stimme, das mir Angst macht.
»Ich könnte es tun«, sagt sie. »Jetzt gleich. Es kann nicht so schwierig sein, jemanden aufzutauen. Du wurdest aufgetaut.«
Ich erstarre.
»Was spielt es überhaupt noch für eine Rolle? Das Schiff landet bald. Da kann ich ihn ebenso gut auftauen.«
Also hat Junior ihnen vom Planeten erzählt.
»Ich brauche ihn!«, sagt Victria, und ihre Stimme wird schriller. »Ich brauche ihn!«
»Warum?«, frage ich vorsichtig.
»Weil ich Angst habe, verdammt! Panische Angst!«, kreischt sie. Ihre Hände zittern immer stärker; sie greift in ihre Tasche und holt ein hellgrünes Medipflaster heraus.
»Doc sagt, dass die gefährlich sind«, warne ich.
»Jeder hat die, jeder benutzt die.« Victrias Worte klingen monoton. »Nur nicht mehr als eins, nur eins.«
»Woher hast du das?«, frage ich misstrauisch. Kit hat mir erzählt, dass sie gestohlen wurden.
Victria zuckt nur mit den Schultern und versucht, die Verpackung aufzureißen. Als es ihr nicht gelingt, wirft sie die Packung auf den Boden. Sie sitzt jetzt auf den Fliesen und weitere grüne Pflaster quellen aus ihren Taschen – mindestens ein Dutzend. Ich mache große Augen, sage aber nichts, obwohl ich gern wüsste, wieso sie so viele davon hat. Victria scheint die Pflaster vergessen zu haben, denn jetzt schlingt sie die Arme um ihre Beine und vergräbt den Kopf zwischen den Knien.
»Warum hast du solche Angst?«, frage ich und sammle möglichst viele Medipflaster ein und lasse sie in meiner eigenen Tasche verschwinden.
»Er war so riesig .«
»Wer war riesig?«
»Der Planet.«
Ich bin enttäuscht. Junior hat allen anderen den Planeten gezeigt? Wieso hat er mir das nicht gesagt? Vielleicht wäre es das Risiko wert gewesen, ihn endlich selbst zu sehen. Oder … er hätte ihn mir vorher zeigen können.
»Er war schön«, sagt Victria. Sie schaut zu mir auf und betrachtet meine roten Haare. »Aber so anders. Unheimlich .«
»Du wirst den neuen Planeten mögen«, sage ich.
»Woher weißt du das?«
»Naja – weil da keine Wände sind.«
»Aber ich mag Wände«, flüstert Victria.
Da begreife ich, dass das Metall für sie kein Käfig ist, der sie zu einem Leben in Gefangenschaft zwingt. Nein – sie betrachtet die Wände als äußere Begrenzung ihres Zuhauses. Es ist die Außenwelt – die gewaltige, niemals endende Außenwelt, die sie in Angst und Schrecken versetzt.
»Orion hat immer gesagt, dass wir nicht wissen, was uns da erwartet. Es könnte alles Mögliche sein.«
»Die Untersuchungen haben ergeben, dass der Planet bewohnbar ist«, beginne ich, aber sie unterbricht mich. Sie lässt ihre Knie sinken und beugt sich vor. Ihr panischer Blick sucht meinen.
»Orion hat mir Bilder gezeigt, verbotene Aufzeichnungen. Da waren Dinosaurier auf der Sol-Erde. Monster, die einen fressen. Tiere, größer als Menschen. Treibsand und Vulkane und Tornados und Erdbeben.«
»Und Löwen und Tiger und Bären nicht zu vergessen«, füge ich halblaut hinzu, aber Victria versteht den Scherz nicht – sie nickt nur zustimmend. Auch das sind Monster für sie.
Sie reibt sich so sehr den Bauch, dass ich an den Buddha mit dem glänzenden
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