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Godspeed Bd. 2 - Die Suche

Godspeed Bd. 2 - Die Suche

Titel: Godspeed Bd. 2 - Die Suche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beth Revis
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müssen, dass es an Bord der Godspeed keine Hoffnung für mich gibt; darauf bin ich schon von allein gekommen. Aber … vielleicht wollte er damit noch etwas anderes sagen … Denn ich weiß, woher dieser Satz kommt. Meiner Englischlehrerin Mrs Parker zufolge, die ich in der zehnten Klasse hatte, stammt er aus einem der berühmtesten Werke der Weltliteratur, vergleichbar mit Rhett Butler, der sich nicht die Bohne für Scarlett interessiert, und Hamlet mit seinem ewigen »Sein oder Nicht-Sein«. Lasst alle Hoffnung fahren ist der Satz, der in Dantes Göttlicher Komödie auf dem Tor zur Hölle steht.
    Und da kein Mensch Bücher lesen durfte, solange der Älteste regierte, ist das etwas, das Doc nicht wissen konnte. Von allen Menschen auf dem Schiff bin ich vermutlich die Einzige, die sich mit Büchern von der Erde auskennt.
    Abgesehen natürlich von Orion, der einen Großteil seines Lebens im Archiv verbracht hat, wo Worte und fiktive Gestalten seine einzige Gesellschaft waren.
    Je mehr ich darüber nachdenke, desto überzeugter bin ich. Das hier sind nicht irgendwelche Worte, die Orion zufällig irgendwo hingekritzelt hat. Lasst alle Hoffnung fahren i st ein bekannter Satz aus einem bekannten Buch, notiert auf einer Dra-Kom, die Orion mir hinterlassen hat.
    Vielleicht interpretiere ich zu viel hinein. Wahrscheinlich hat es nichts zu bedeuten. Aber ich hatte nun schon zu lange nichts und bin mehr als bereit für etwas . Irgendetwas. Und lieber gehe ich ins Archiv und schlage den Satz bei Dante in der Göttlichen Komödie nach, als weiter hier herumzusitzen und die Wände anzustarren. Ich schließe meine Jacke bis zum Hals, verlasse mein Zimmer und steuere den Fahrstuhl an. Ich bin aufgeregt und würde am liebsten rennen  … aber draußen angekommen, muss ich wieder daran denken, dass mich die Rennerei nur noch auffälliger macht, und so gehe ich langsam und halte den Kopf unter der Kapuze gesenkt. Auf den Stufen des Archivs schaue ich aus Gewohnheit auf. In einer Nische neben der Tür hängt ein Gemälde von Junior, eine von Harleys letzten Arbeiten. Dieses Bild ist alles, was ich in den letzten Tagen von Junior gesehen habe. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr nehmen ihn seine Pflichten in Anspruch. In vielerlei Hinsicht ist er noch mehr gefangen als ich.
    Der gemalte Junior schaut von der Wand des Archivs hinab auf sein von Wänden begrenztes Reich. Ich drehe mich um und folge seiner Blickrichtung.
    Die Solarlampe blendet mich einen Moment lang, und in dem Sekundenbruchteil der Blindheit wird mir etwas klar, das mir bisher nicht bewusst war: Ich brauche die Landschaft nicht zu sehen, um jeden Zentimeter des Versorgerdecks zu erfassen, das sich vor mir ausdehnt. Ich schließe die Augen und sehe trotzdem noch, wie sich die Felder über die perfekt platzierten Hügel erstrecken. Ich kenne das genaue Farbmuster der Wohncontainer am anderen Ende des Schiffs. Ich weiß sogar genau, an welcher Stelle man die Verstrebungen im Metallhimmel nicht mehr sehen kann, weil sie sich über das ganze Dach ziehen. Ich kenne die Form jeder gemalten Wolke.
    Ich versuche, mir vorzustellen, wie unser Haus in Colorado ausgesehen hat, aber es fällt mir schwer. Die Fensterläden – waren die eher ziegelrot oder dunkelrot? Was für Blumen hat Mom im Vorgarten gepflanzt?
    Ich kenne die Godspeed jetzt besser, als ich mich an die Erde erinnern kann.
    »Weg da, Freak«, fährt mich eine kräftige Frau an und drängt sich auf dem Weg aus dem Archiv grob an mir vorbei. Ich muss im Moment noch mehr nach Freak aussehen als sonst – in meiner Jacke, während alle anderen kurze Ärmel tragen, und dann stehe ich auch noch wie eine Idiotin im Eingang herum.
    Ein junger Mann, schlank und groß, starrt mich unverhohlen an, bevor er der Frau auf den Pfad zum Krankenhaus folgt. Ich ziehe mir die Kapuze tiefer ins Gesicht. Er dreht sich auf den Stufen noch einmal um und sieht mich an. Etwas in seinen Augen lässt mich herumwirbeln und ins Archiv rennen.
    Die Godspeed hat in meinem Kopf nicht nur die Erde verdrängt; sie hat mir mein Zuhause genommen. Und hier leben nur Menschen, die ihre dunklen Gedanken hinter finster starrenden dunklen Augen verbergen.
    Ich schüttele den Kopf und versuche so, die Gedanken an mein altes Zuhause und diesen Kerl zu vertreiben. Es ist sinnlos, darüber nachzudenken.
    Im Archiv ist es düster und still. Es sind zwar Menschen da, aber sie ignorieren mich auf eine Art, wie sie es draußen, wo das falsche Sonnenlicht auf

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