Godspeed Bd. 2 - Die Suche
Technische Einführung in Kommunikationssysteme . Er lässt Platos Staat auf dem Tisch liegen und trägt die anderen Bücher zur Tür, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Als die Tür hinter ihm schließt, fühlt es sich an, als würde das, was er nicht ausgesprochen hat, noch in der Stille des Raums hängen.
Die letzte Ursache für Unfrieden. Eigenständiges Denken.
Bartie hat keine Ahnung, dass ich in den letzten drei Monaten nie mehr als ein paar Stunden geschlafen habe. Dass ich nichts anderes tue, als zu versuchen, ein Schiff voller wütender und denkender Menschen vor der Selbstzerstörung zu bewahren. Und dass ich mir zu allem Überfluss jetzt auch noch Gedanken um einen nicht funktionierenden Antriebsreaktor machen darf. Aber alles, was er sieht, ist mein Versagen.
Wenn ich es nicht schaffe, das Regieren ohne Phydus hinzubekommen, ist das alles, was die Menschen jemals sehen werden.
Versagen.
Weil ich ihnen ihr Leben zurückgegeben habe und nicht fähig war, sie danach vor sich selbst zu schützen.
Als ich das Archiv verlasse, muss ich in der Helligkeit blinzeln. Hier draußen ist alles irgendwie ruhiger, stiller, beinahe andächtig. Im Archiv war es zwar nicht gerade laut, aber auch nicht wirklich still.
Etwas zieht meinen Blick auf sich. Ich drehe langsam den Kopf.
Neben dem Eingang zum Archiv hängt ein Gemälde, ein Bild von mir, an einem Ehrenplatz. Es ist eines von den letzten Bildern, die Harley gemalt hat.
Jemand hat es zerfetzt.
Es sieht aus, als hätte jemand die Leinwand mit messerscharfen Krallen zerrissen – fünf lange Schlitze führen durch mein Gesicht und meine Brust. Es hängen Fäden und getrocknete Farbreste herab, als würden die Wunden bluten. Der Hintergrund des Gemäldes – ein Abbild der Felder und Farmen der Godspeed – ist nahezu unberührt. Wer immer das getan hat, er hat Wert darauf gelegt, nur mich zu zerstören und den Rest des Bildes unversehrt zu lassen.
So hat das nicht ausgesehen, als ich das Archiv betreten habe. Er hat auf die perfekte Gelegenheit gewartet – er wollte sichergehen, dass ich es sehe und mich auch wissen lassen, dass es geschehen ist, während ich in der Nähe war.
Ich zwinge mich dazu, mich abzuwenden. Mein Blick huscht über die Felder und den Pfad entlang. Es ist niemand da. Der Täter ist bereits verschwunden … oder einfach ins Archiv gegangen, um dort in der Menge unterzutauchen und mich auf dem Weg nach draußen zu beobachten.
14
Amy
Ich bin wieder in meinem Zimmer und kann nicht aufhören, hektisch herumzulaufen. Orion hat Hinweise hinterlassen – für mich? Zu etwas Wichtigem, offenbar etwas, bei dem es um Leben und Tod geht. Kann damit das Ende des Schiffs gemeint sein? Der funktionslose Antrieb?
Und – er hat mir den ersten Hinweis bereits gegeben? Wie denn?
Ich bleibe stehen und starre die Wand mit der Liste an, die ich dort hingemalt habe. Es ist inzwischen drei Monate her, seit Junior dafür gesorgt hat, dass Orion keine weiteren eingefrorenen Militärangehörigen mehr ermordet. Vorher hatte ich mit einer Liste der Opfer an meiner Wand versucht, den Mörder zu entlarven. Ich verfolge die Buchstaben. Die Farbe ist so dick aufgetragen, dass die Ränder kleine Schatten an die weiße Wand werfen. Dünne Rinnsale erstrecken sich wie Hexenfinger in Richtung Fußboden. Eine Farbspur ist breiter und länger als die anderen. Sie reicht hinab bis zu der Efeugirlande, die Harley vor langer Zeit für seine Freundin gemalt hat, die dieses Zimmer vor mir bewohnt hat.
Schwarze Kritzeleien auf einer schmutzigen Wand. Das ist alles, was Orion mir jemals gegeben hat – abgesehen von den Leichen seiner Opfer.
Ich schließe die Augen, atme tief ein und erinnere mich daran, wie die Farbe gerochen hat, als ich Harleys Pinsel hineingetaucht habe.
Farbe.
Harley.
Das hat Orion mir gegeben. Das Einzige, was er mir je wirklich gegeben hat. Harleys letztes Bild. Bevor Harley auf dem Kryo-Deck ein paar Drähte verband, um die Luke kurzzuschließen und sich in den luftleeren Weltraum zu stürzen, gab er Orion sein letztes fertiges Gemälde – und Orion hat es mir gegeben. Nach Harleys Tod war ich so traurig, dass ich es nicht ansehen konnte und Junior gebeten habe, es für mich in Harleys Zimmer zu bringen.
Und da müsste es immer noch sein … Ich rase aus meinem Zimmer und den Flur hinunter. Harleys Zimmer ist leicht zu finden, denn Farbkleckse in allen Regenbogenfarben führen bis zu seiner Tür.
Im Zimmer riecht es nach Staub und
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