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Godspeed Bd. 2 - Die Suche

Godspeed Bd. 2 - Die Suche

Titel: Godspeed Bd. 2 - Die Suche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beth Revis
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Terpentin. Durch das Gitter an seinem Fenster fällt künstliches Licht auf eine kleine Pflanze, die natürlich längst tot ist. Staubpartikel glitzern im Licht.
    Ich fühle mich, als würde ich das Zimmer entweihen. Meine Hand berührt immer noch den Türrahmen und der Daumen liegt noch auf dem biometrischen Scanner.
    Zögernd trete ich ein, aber ich mag den Türrahmen nicht loslassen, denn das würde bedeuten, vollständig in Harleys Vergangenheit einzutauchen. Meine Finger gleiten an der Wand entlang bis zur Kommode, wo sie vier helle Streifen im Staub hinterlassen. Ist das der Staub der letzten drei Monate oder ist er viel älter? Ich habe Harley nie in seinem Zimmer gesehen und nur einmal beobachtet, wie er es verließ, als wir auf dem Flur vorbeigingen. Jetzt kann ich ihn mir hier drinnen nicht mehr vorstellen. Das Zimmer ist viel zu klein und zu voll. Es ist eher ein Lager- als ein Wohnraum.
    Aber Harley war ein Künstler, ein wahrer Künstler, und sein Lager ist umwerfender als alles, was ich bisher in einem Museum gesehen habe. Ich sehe die Leinwände durch. Eine ist nur mit Farbklecksen und schwarzer Tinte übersät, vermutlich ein Experiment, das schiefgegangen ist. Da ist auch ein weiterer Koikarpfen im selben Stil wie auf dem Bild, das Harley für mich gemalt hat, nur dass dieser Fisch eher aussieht wie eine Comicfigur, weniger realistisch und in hellen Farben, die sich stark voneinander abheben.
    Das letzte Bild ist zur Wand gedreht, aber schon bevor ich es umdrehe, sehe ich, dass die Leinwand zerfetzt wurde.
    Es ist das Bild eines Mädchens. Sie hat ein Lächeln auf den Lippen, das ihre großen, hellblauen Augen aber nicht erreicht. Sie sieht aus, als käme sie gerade aus der Badewanne oder einem Pool, denn ihre Haare sind triefend nass, und dicke Tropfen haben dunkle Spuren auf ihr Gesicht gezeichnet.
    Die Risse in der Leinwand deuten darauf hin, dass jemand einen Wutanfall hatte. Jemand – vielleicht Harley? – hat versucht, die Leinwand zu reparieren, aber niemand könnte das Gesicht dieses Mädchens wiederherstellen.
    Kayleigh. Sie muss es sein. Meine Finger gleiten über die dicke Farbe, mit der ihr Haar gemalt ist. Dies ist das Mädchen, das Harley verloren hat, was dann dazu geführt hat, dass er sich selbst verlor.
    Plötzlich komme ich mir wieder wie ein Eindringling vor; als würde ich Harleys Privatsphäre verletzen. Es spielt keine Rolle, dass er fort ist: Dies ist immer noch sein Zimmer und ich habe hier nichts zu suchen.
    Ich bin wegen meines Bildes gekommen. Ich sollte es nehmen und verschwinden. Suchend lasse ich den Blick durchs Zimmer schweifen. Da ist es, da unter dem Fenster ist der schwarze Himmel mit den silbrigweißen Sternen. Der orange-goldene Koi, der um Harleys Füße herumschwimmt.
    Ich haste durchs Zimmer auf die Leinwand zu und stoße dabei mit der Hüfte gegen ein Lineal, das von der Tischkante ragt. Es fegt einen Haufen Papiere herunter. Sofort lasse ich mich auf die Knie fallen und versuche, so viele einzusammeln, wie ich greifen kann. Es sind Zeichnungen – ein Mädchen beim Schwimmen, ein schwebendes Mädchen, ein Teich voller Fische. Am liebsten würde ich sie mir in Ruhe ansehen, aber ich habe das Gefühl, dass ich es lassen sollte, dass ich nicht einmal das Recht habe, sie anzufassen.
    »Was machst du hier?«, zischt eine Stimme an der Tür und all meine Ängste bestätigen sich. Ich spüre es bis in die Eingeweide, dass ich hier nicht sein dürfte.
    Ich schaue auf. Das Licht auf dem Gang zeichnet Victrias Umriss nach. Sie tritt ein.
    »Also?« Ihr gereizter, ungeduldiger Ton sagt mir unmissverständlich, dass, was immer in der Bibliothek passiert ist, nicht zählt. Es zählt nur, dass ich es gewagt habe, ins Zimmer von einem ihrer wenigen Freunde einzudringen.
    Sie umklammert ein kleines, in Leder gebundenes Buch so fest, dass ihre Fingerknöchel schon ganz weiß sind. Ich verstehe dieses Mädchen nicht – sie hasst mich dafür, dass ich ihr vom Himmel erzählt habe; sie ignoriert die Tatsache, dass ich sie vor Luthor gerettet habe, und sie verachtet mich dafür, dass ich Harleys Zimmer betreten habe.
    »Du hast hier nichts zu suchen«, faucht sie mich an.
    Victria kommt auf mich zu und reißt mir die Papiere so energisch aus den Händen, dass die dünnen Blätter verknittern und einige von ihnen sogar einreißen. »Die gehören dir nicht.«
    Meine Augen verengen sich. »Aber das hier.« Ich drücke die Leinwand fest an mich. Es ist mein Bild.
    »Von mir

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