Godspeed Bd. 2 - Die Suche
lieber Junior genannt werden will. »Wo sind die anderen Arbeiter?«
Die Männer tauschen nervöse Blicke. Der erste dreht sich zu der Kuh um, die er gerade zerlegt. Der andere steht verlegen da und weiß nicht, was er tun soll. »Sie – nun ja, – sie sind heute nicht gekommen.«
»Warum nicht?«
Der Mann zuckt mit den Schultern. »Wir haben ihnen gestern gesagt, dass wir sie brauchen, weil Bronsen uns mindestens drei Stück Vieh bringt, aber …«
»Aber sie sind nicht gekommen.«
Der Mann nickt.
»Warum habt ihr nichts unternommen?«
Er wischt sich immer wieder die Hände an seiner Schlachterschürze ab, aber sauberer werden sie an dem dreckigen Ding bestimmt nicht. »Das … also … es steht uns nicht zu.«
»Was steht euch nicht zu?«
»Anderen zu sagen, dass sie zur Arbeit kommen sollen.«
Juniors Kiefermuskeln treten hervor. Er geht hinaus und die Glocke über der Tür läutet zum Abschied.
Er stürmt die Straße entlang, und sein missmutiger Gesichtsausdruck sorgt dafür, dass alle, die ihn eigentlich begrüßen wollten, lieber den Mund halten. »Der Älteste hatte nie solche Probleme«, knurrt er mir gedämpft zu. »Dass die Leute nicht arbeiten. Faul sind. So was gab es bei ihm nicht. Die Menschen haben ihm gehorcht und es nicht gewagt, einen Arbeitstag zu versäumen. Der Älteste hat dafür gesorgt, dass alles auf diesem Schiff reibungslos lief.«
»Das hat nicht der Älteste getan«, sage ich. Junior ist so verblüfft, dass er wie angewurzelt stehen bleibt. »Das war nicht er«, versichere ich ihm. »Es war Phydus.«
Junior verzieht das Gesicht und ein Teil seines Ärgers verraucht. Wir kommen an der Berufsgruppe der Spinner vorbei, von denen ein paar auf der Straße sitzen und angeregt plaudern, während ihnen der Faden durch die Finger läuft. Aber im nächsten Block sind die Betriebe, in denen die Webstühle stehen, dunkel und still, und es ist kein Weber zu sehen. Junior runzelt die Stirn und führt mich zu einer eisernen Leiter an der Seite eines der bunten Containerstapel, in deren Erdgeschossen gearbeitet wird.
»Der gelbe da«, sagt Junior und zeigt auf den Container im dritten Stock. »Da hat Harley früher gelebt.«
Ich folge Junior die Treppe hinauf. Je höher wir kommen, desto mehr Farbkleckse finden sich auf den Stufen und auf dem Geländer. Sogar hier hat Harley sein Markenzeichen hinterlassen. Junior zögert, bevor er anklopft, und seine Faust schwebt einen Moment vor einem wasserblauen Klecks getrockneter Farbe.
Niemand öffnet.
Er klopft noch einmal.
»Vielleicht sind sie nicht da«, sage ich. »Immerhin ist es mitten am Tag.«
Als auch nach dem dritten Klopfen niemand auftaucht, stößt Junior die Tür auf.
23
Junior
In der Wohnung ist es dunkel und es riecht unangenehm säuerlich. Auch hier hat Harley Spuren hinterlassen – die Wände sind weiß gestrichen und oben mit gelben Wirbeln verziert. In der Mitte des Raums steht ein Tisch, aber bis auf einen sind alle Stühle in einer Ecke gestapelt. Der Tisch ist voll mit Stoffen, Scheren und kleinen Fläschchen mit Färbemitteln – typische Weberutensilien.
»Hallo?«, ruft Amy. »Ich glaube, da hinten ist jemand«, sagt sie und deutet mit einer Kopfbewegung auf den Vorhang, der die hinteren Räume vom Arbeitsraum trennt.
Ich trete vor und schlage den Vorhang zurück. Dieser Raum ist noch dunkler und riecht nach Moschus und Schweiß. Es ist das große Schlafzimmer – wie ich weiß, geht es auf der anderen Seite durch einen weiteren Vorhang ins Badezimmer und in ein kleineres Schlafzimmer.
Harleys Mutter Lil liegt zusammengerollt im Bett. Ihre Haare sind zerzaust, und obwohl sie vollständig angezogen ist, sind ihre Kleider schmutzig.
»Was willst du hier?«, fragt Lil leise und ohne echtes Interesse.
»Wo ist –« Ich überlege krampfhaft, wie Harleys Vater heißt. »Wo ist Stevy?«
Lil zuckt mit den Schultern, ohne sich auch nur aufzusetzen.
Amy tritt vor, zögert, setzt sich dann aber doch auf die Bettkante. »Ist alles in Ordnung?« Sie streckt die Hand aus, aber ihre helle Haut lässt Lil erschrocken zurückzucken. Einen Moment später steht Amy auf und stellt sich hinter mich.
»Wo ist Stevy?«, frage ich noch einmal.
»Weg.«
»Für wie lange?«
Wieder zuckt Lil mit den Schultern.
Ich kann hören, wie ihr unter der Decke der Magen knurrt.
»Besorgen wir dir etwas zu essen«, sage ich. Ich trete ans Bett heran und greife nach ihrer Hand. Vor mir zuckt Lil zwar nicht zurück, aber sie
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