Godspeed Bd. 2 - Die Suche
reagiert auch nicht auf meine Worte.
»Sinnlos«, murmelt sie. »Gibt kein Essen.«
»Kein Essen?«, frage ich. Instinktiv schaue ich zum Vorhang; die Nahrungsverteilerklappe befindet sich in der Wand des Wohnraums. »Ist die Klappe kaputt? Ich werde den Wartungsdienst kommen lassen.«
»Sinnlos«, murmelt sie wieder. Ich ignoriere sie, kontaktiere das Technikdeck und verlange, dass sie so bald wie möglich jemanden herschicken.
Ich beende die Kom-Verbindung und sehe Lil an. »Was ist los?«, frage ich. »Warum arbeitest du nicht? Soll ich Doc herbestellen?«
Sie starrt an die Decke. »Ich kann nicht arbeiten. Die Färbemittel erinnern mich an ihn. Die Farben. Überall Farben.«
»Lil«, sage ich und nehme mir vor, später Doc Bescheid zu sagen, »hast du irgendwelche Bilder von Harley aus dem Archiv mitgenommen?«
Jetzt fährt sie hoch. »Nein!«
Aber ihr Blick huscht zum Vorhang.
Sie bemerkt, dass ich in dieselbe Richtung schaue. »Sie gehören mir. Er ist mein Sohn. Er war mein Sohn. Sie sind alles, was mir geblieben ist.«
»Wir wollen sie uns nur ansehen«, sagt Amy zaghaft hinter meinem Rücken.
Lil lässt den Kopf wieder aufs Kissen fallen. »Wozu soll das gut sein? Er kommt nicht zurück. Keiner von ihnen kommt zurück.«
Da sie nicht noch einmal aufschaut, gehen Amy und ich leise ums Bett herum und zum Vorhang an der anderen Seite. Ich hebe ihn an und Amy folgt mir hindurch.
Das Badezimmer. Die Toilette ist nicht gespült und das Waschbecken ist schmutzig. Eilig gehen wir auf den nächsten Vorhang zu.
Dies ist Harleys Zimmer – zumindest war es das, bis er auf die Station umgezogen ist. Es ist noch zu erahnen, wozu der Raum einst genutzt wurde – eine schmale Matratze lehnt an der Wand, auf einem kleinen Nachttisch steht immer noch ein Wecker – aber in den Jahren, seit Harley ausgezogen ist, haben seine Eltern den Raum offenbar als Lagerraum für alles Mögliche verwendet. Ich dränge mich an den Kartons vorbei, bis ich finde, weswegen wir gekommen sind: Harleys Gemälde Hinter den Spiegeln .
»Es ist wunderschön«, haucht Amy. Sie hat bestimmt recht, aber immer, wenn ich das Bild sehe, erinnere ich mich nur daran, wie es wirklich passiert ist, und nicht daran, wie Harley es gemalt hat.
Das Bild ist in leuchtenden Farben gehalten, auch wenn in meiner Erinnerung alles dunkel ist: das Wasser, der Schlamm, ihre Augen. Im oberen Teil des Bildes stehen fünf Personen, die den Teich betrachten – ich, Harley, Victria, Bartie und, hinter uns, Orion. Harley hat für die Wasseroberfläche irgendeine reflektierende Farbe benutzt, aber direkt unter der spiegelblanken Oberfläche treibt ein Mädchen auf dem Rücken und seine lachenden Augen strahlen uns an. Kois umschwärmen ihre Finger und in ihrem dichten schwarzen Haar hat sich eine Seerose verfangen.
»Er hat Kois richtig gern gehabt«, stellt Amy fest.
»Sie waren Kayleighs Lieblinge.«
Ich schmecke das modrige Teichwasser. Ich kann die klamme Kälte von Kayleighs Haut fühlen. Ich kann sehen, wie sich ihr aufgeblähtes Gesicht unter Harleys Berührung verformt.
»Lass uns nach dem Hinweis suchen«, sagt Amy sanft und holt mich damit vom Teichufer wieder weg. »Er ist wahrscheinlich auf der Rückseite wie beim letzten Bild.«
Ich hebe die Leinwand hoch und drehe sie um.
»Sieh doch«, sagt Amy.
Auf der Rückseite ist mit hellem Stift ein Rechteck gemalt, in dem sich eine weitere Mem-Karte befindet. Ich löse sie mit meinem Fingernagel ab. Auch hier steht eine Botschaft in derselben hauchdünnen Schrift wie auf dem anderen Bild:
1,2,3,4. Zähl zusammen und öffne die Tür.
»Meint er damit die Tür im vierten Stock des Krankenhauses? Die zum Fahrstuhl führt, mit dem man aufs Kryo-Deck kommt?«, frage ich.
»Das glaube ich nicht. Er hat dir von dieser Tür erzählt; er weiß, dass ich gesehen habe, was sich dahinter befindet. Wenn er diese Hinweise hinterlassen hat, damit ich sie finde, muss er eine der anderen verschlossenen Türen meinen.«
»Da sind keine and…«, setze ich an, unterbreche mich aber selbst gleich wieder. Es gibt ein paar verschlossene Türen auf diesem Schiff – und darunter sind einige wenige, die nicht einmal mein biometrischer Scan öffnet. Aber es gibt einen ganzen Bereich voller verschlossener Türen – Türen, die durch Tastenfelder gesichert sind, deren Zahlencodes nicht einmal der Älteste kannte.
»Die Türen auf dem Kryo-Deck«, sage ich. »Die in der Nähe der Luke.«
Amy nickt. »Das müssen
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