Goebel, Joey
Stil. Aber John könnte Bernice vor Blue Genes Augen einen Scheck anbieten. Er könnte ihr sagen, sie dürfe jeden beliebigen Betrag nennen, alle ihre medizinischen Ausgaben würden für den Rest ihres Lebens bezahlt werden, sofern sie und Blue Gene über diese unerquickliche Angelegenheit schwiegen.
Und wenn Blue Gene deswegen zu Bernice gefahren war, bliebe John dadurch erspart, sämtliche Details haarklein erzählen zu müssen. Und Bernice konnte Blue Gene auf jeden Fall mehr über seine Mutter erzählen als John.
Als John in der siebten Klasse gewesen war, hatte es hübschere Mädchen als Tammy gegeben, elegante Mädchen aus gutem Haus. Doch das war John egal. Dass er sich die immer stille Tammy ausguckte, hatte andere Gründe als Attraktivität, was nicht hieß, dass er sie nicht anziehend fand. [406] Sobald er anfing, sie von der anderen Seite des Klassenzimmers aus zu betrachten, fand er das kränklich aussehende, dürre Mädchen mit den unmodernen Klamotten interessant, verglichen mit den hausbackenen Mädchen, deren Väter seinen Vater kannten.
Außerdem wusste John, dass über das körperliche Techtelmechtel, auf das er aus war – und das sein Dad und das Hausmädchen vor seinen Augen vollzogen hatten –, nie gesprochen werden durfte, und Tammy war das einzige Mädchen in der Klasse, das nie etwas sagte. Sein Werben um sie spielte sich in Form von Zetteln mit geheimen Botschaften ab, und als er sich eines Tages bei Tammy zu Hause einlud, war sie einverstanden. Als er sie bei dieser Gelegenheit befummelte, erhob sie keine Einwände. Sie wehrte sich auch nicht gegen Johns anschließende Annäherungsversuche, die in ihrem schäbigen Schlafzimmer auf dem Bett stattfanden, in dem sie ihr Leben lang geschlafen hatte. Als John sich dem entscheidenden Moment näherte, wich seine Furcht der Aufregung, denn das Küssen fühlte sich gut an, und schließlich wich seine Aufregung der Erregung, als er sah, wie sich dieses Wesen auf den Laken ihm darbot. Später wurde John klar, dass das Gefühl, das zu seiner Erregung führte, wenig mit dem warmen Körper unter ihm zu tun hatte. Vielmehr hatte dieses Gefühl mit Macht zu tun, mit Beherrschung einer schwachen Person, die sich seiner Meinung nach glücklich schätzen konnte, dass er sie überhaupt für würdig hielt, von ihm besucht zu werden. Er besuchte sie noch fünf Mal, und aus diesem unbekümmerten Einsatz neuentdeckter Macht und der bereitwilligen Hingabe eines schüchternen, kleinen Unterschichtmädchens entstand der [407] Zellklumpen, der sich eines Tages Schnauzbart und Vokuhila wachsen ließ, weil es ihm angebracht erschien.
Im Verlauf einer einzigen Minute bekam Blue Gene eine neue Mutter und verlor sie wieder. Er bekam mit Bernice auch eine neue Großmutter – keine große Veränderung, da sie schon immer der Omatyp gewesen war. Doch der Zugewinn einer neuen Großmutter war nur ein schwacher Trost. Blue Gene wollte wissen, wie sich das alles abgespielt hatte. Bernice nahm ein paar tiefe Atemzüge aus ihrer Zerstäubermaske.
Dann erzählte sie ihm mit tougher und zugleich herzlicher Stimme, wie der einer kampferprobten Kellnerin in einem Truckstop-Imbiss, von seiner Mutter.
»Tammy war dreizehn, als sie schwanger wurde. Sie hielt es möglichst lange geheim, doch ich wusste, etwas stimmte nicht mit ihr. Also, sie war ja immer ziemlich traurig gewesen, seit ihr Dad gestorben war, doch mir fiel auf, dass sie nicht mehr nur traurig war. Irgendwann wirkte sie ver ängstigt. Und sie hätte es mir am liebsten nie erzählt, doch schließlich bekam ich aus ihr heraus, dass ihre Tage ausblieben. Sie weinte sich die Augen aus dem Kopf. Zuerst wollte sie mir nicht die Wahrheit sagen, erfand irgendeine Räuberpistole, Außerirdische hätten ihr ein Baby eingepflanzt. Was mich natürlich kein bisschen überraschte, denn sie stand total auf UFO s, genau wie ihr Dad, und tischte mir eine ewig lange Geschichte auf, wie so ein Alien nachts in ihr Zimmer gekommen war, der in ihrem Kopf reden konnte, und sein Tentakel oder so was um ihre Hüfte wickelte… aber sie sagte, er sei dabei richtig nett gewesen. Ein wahrer [408] Gentleman. Und er brachte sie nach draußen zu einem Raumschiff, wo die Aliens sie an eine Maschine anschlossen, und –«
»Wie ist es denn wirklich geschehen?«, unterbrach Blue Gene, der ein brennendes Stechen im Bauch verspürte. Er atmete mehrmals tief durch, bis sich das Gefühl in Form geräuschloser Blähungen verflüchtigte.
»Nun, im Grunde
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