Goebel, Joey
deiner Familie, die an jenem Abend ins Krankenhaus kam, war Elizabeth. Als ich erfuhr, dass Tammy [411] gestorben war, bin ich ausgerastet, und ich bin zu Elizabeth gegangen und hab noch im Wartezimmer geschrien: Ich sollte der ganzen Welt sagen, was ihr meinem kleinen Mädchen angetan habt! Und natürlich wusste sie nicht, was sie sagen sollte, aber es tat ihr so leid, es tat ihr unendlich leid. Und sie sagte, sie würde alles, alles Erdenkliche für mich tun, weil sie sich wegen allem so schrecklich fühle. Sie sagte Geld, ein neues Haus, alles Erdenkliche, was sie oder ihr Mann für mich tun könnten, ich sollte nicht zögern, und sie würden meinen Wunsch erfüllen. Und natürlich sagte ich, nichts könnte das Geschehene ungeschehen machen, doch in dieser Nacht hab ich lange wach gelegen, bis mir endlich klar wurde, dass es doch etwas gab, was sie für mich tun konnten. Am nächsten Tag fragte ich Elizabeth, und ich rechne ihr hoch an, dass sie einverstanden war.«
»Und?«
»Also, am nächsten Tag im Krankenhaus, als wir dich durch das Babyfenster betrachteten – du warst an ein Beatmungsgerät angeschlossen –, sagte ich, ich würde sie beim Wort nehmen, dass sie alles tun würden, um mir zu helfen. Und dann nickte ich in deine Richtung und sagte: Macht einen Mapother aus ihm. Darauf sagte Elizabeth: Was? Und ich sagte: Macht einen Mapother aus ihm. Gebt ihm eine Chance, in dieser Welt etwas zu werden, denn Gott weiß, ihr habt mir meine Tochter genommen. Ich sagte, sie sollten dich adoptieren und dir jeden deiner Wünsche erfüllen. Dir nicht nur alles geben, was du brauchtest, sondern alles, was du wolltest. Ich sagte: Verwöhnt diesen Knaben nach Strich und Faden. Macht ihn zu einem von euch, denn als Munly hat er null Chance, und Gott weiß, was mit ihm geschieht, [412] wenn wir ihn zur Adoption freigeben. Denn dann sehen wir nicht, wie er heranwächst. Ich sagte ihr, sie sollten dir das beste Leben ermöglichen, was man für Geld kaufen könne, dir jedes Auto kaufen, das du dir wünschst, und dich auf die beste Uni schicken. Im Grunde bat ich sie, dir all das zu geben, was Tammy und ich dir nie hätten geben können. Sie sollten dich aber auch lieben, schließlich ist das Blut in deinen Adern zur Hälfte ihres. Und Elizabeth war sofort einverstanden. Und dann wollte Elizabeth wissen, ob sie irgendetwas für mich tun könnten, und ich sagte, ich würde wohl auf das Angebot ihres Mannes zurückkommen, in seiner Fabrik zu arbeiten. Dann fragte sie: Ist das alles ? Und ich sagte: Ja. Da fing sie an zu weinen. Als ich sie fragte, weshalb sie weinte, sagte sie, sie könne mich unmöglich in dieser furchtbaren Fabrik arbeiten lassen. Und ehe ich mich’s versah, war ich dein Kindermädchen.«
John drehte »Wachet auf, ruft uns die Stimme« lauter und versuchte, sich auf das Wichtigste zu konzentrieren, auf den Grund, weshalb er auf diesem Planeten weilte. So ungeheuerlich die Handy-Enthüllung auch war, er würde damit fertig werden, die Katastrophe eindämmen und sie wieder ins Halbdunkel zurückschieben, damit die höhere Ordnung wiederhergestellt wurde. Im Grunde hatte sich nichts geändert. Der Skandal würde vertuscht, der Traum wahr, die Wahl gewonnen werden, genau wie die nächste und übernächste, bis er zu einem Mann von der Größe des Mount Rushmore wurde und die Antrittsrede hielt, die ihn zum letzten großen Gründervater machte.
Doch als er sich diesen Triumph auszumalen versuchte, [413] schob sich immer wieder Blue Genes Gesicht dazwischen, das zu sagen schien: »O Herr, warum schmeißt du mir nicht zur Abwechslung mal ’ne gute Nachricht rüber?« Er fragte sich, wie dieses Gesicht jetzt aussehen mochte, wie lang der Schnauzbart wohl nach unten hing, wie dunkel die Ringe unter den Augen waren.
John versuchte es mit Beten, machte sich aber unaufhörlich Gedanken, wie sein Vater wohl reagieren würde, wenn er herausfand, dass Blue Gene Bescheid wusste, wegen eines einzigen dummen Fehlers. Dabei hatten ihre Lügen alles so lange zusammengehalten.
Ihre Lügen hatten gleich nach Blue Genes Geburt begonnen, als die Mapothers beiläufig herumerzählten, Elizabeth habe kürzlich entbunden. Sie behaupteten, sie hätten Elizabeths Schwangerschaft absichtlich verschwiegen, weil sie bereits mehrere Fehlgeburten gehabt hätte und man dieses Mal auf Nummer sicher gehen wollte. Diese Lüge enthielt ein Körnchen Wahrheit, denn Elizabeth hatte in den dreizehn Jahren nach Johns Geburt tatsächlich zwei
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