Goebel, Joey
Werte und Patriotismus spreche, ist mir das ernst . Sie tun so, als wären die Wähler so dumm, mit ihren Herzen statt mit ihren Köpfen oder Geldbeuteln abzustimmen. Ich sage: Was ist so falsch daran? Sie sagen, die Regierung sollte fürsorglicher, [631] wärmer und mitfühlend sein, aber ist dafür nicht ein Herz erforderlich?«
»Schon, aber wenn Sie erst einmal gewählt sind, haben Sie kein Herz mehr. Sie sind ein Klischeepolitiker, ein reicher Geschäftsmann. Er stammt aus einer der reichsten Familien Amerikas.«
»Zurück zu –«, setzte die Interviewerin an.
»Mein Geld hat nichts mit meinen Werten zu tun. Ob Sie es glauben oder nicht, aber Reiche können genauso fürsorglich und mitfühlend sein wie jeder andere auch.«
»Dann beweisen Sie es, wenn Sie erst mal im Amt sind. Hey – wenn Sie versprechen, Ihr Mandat so wahrzunehmen, wie Ihr Bruder seine wohltätige Einrichtung geleitet hat, steige ich sofort aus dem Wahlkampf aus und fordere hier und jetzt live im Fernsehen alle auf, nicht für mich zu stimmen. Das meine ich ernst.«
»Ein ungewöhnliches Angebot«, stellte die Moderatorin verblüfft fest. »Wie lautet Ihre Antwort?«
»Nun, ich möchte darauf hinweisen, dass diese Idee meines Bruders nichts Neues ist. Was er gemacht hat, nämlich einen Haufen verzweifelter Leute in einem Gebäude zusammenzubringen… das nennt sich Phalansterium oder Phalanstère, und man hat es im achtzehnten Jahrhundert probiert, aber es funktionierte nicht. Dann gab es Jane Addams’ Hull House in Chicago, die Heilsarmee und das Rote Kreuz. Hören Sie, wie mein Bruder und Jackie ihre Einrichtung betrieben haben, wäre in einer Regierung nicht umsetzbar, aber ich könnte mich bemühen, einige ihrer besseren Ideen zu verwenden.«
»Passen Sie auf«, sagte Jackie. »Sein Bruder hat sein eigenes Geld genommen – es war sein Erbe aus dem [632] Familienvermögen der Mapothers – und damit für diese Gemeinde Gutes getan. Er hat das Essen der Menschen bezahlt, ihnen ein Dach über dem Kopf und Arbeit gegeben und allen Mitarbeitern gleich viel bezahlt… alles aus eigener Tasche. Er wollte sogar eine kostenlose medizinische Betreuung anbieten –«
»Was alles gut und schön ist«, unterbrach John, »aber Sie sehen die Welt so, wie ein Kind sie sehen würde.«
»Ja! Das stimmt.« Die Menge jubelte.
» Ich als Erwachsener weiß, dass diese Welt nicht perfekt ist, und deshalb hat Ihr Projekt mehr geschadet als genützt. Sie haben einen Stützpunkt für Kriminelle und Schnorrer aufgebaut. Ihre Ideen haben schlimme Folgen. Sie könnten sich auf die moralischen und verantwortungsbewussten Menschen in dieser Gemeinde nachteilig auswirken, auf die Familien, die sich an die Regeln halten. Im Grunde wollen Sie nur die Familienwerte in Bashford demontieren.«
»Verzeihen Sie, aber er hat wirklich kein Recht, über Familienwerte zu reden.«
Wie aufs Stichwort errötete John. Wusste sie Bescheid? Stand sie Blue Gene so nahe, dass er es ihr erzählen würde? An seinen Schläfen bildeten sich Schweißtröpfchen. Die Scheinwerfer schienen plötzlich so heiß wie nie.
»Wie meinen Sie das?«, fragte die Journalistin.
John hatte Angst, die anderen könnten sein Erröten bemerken, was bewirkte, dass sein Gesicht erst recht rot anlief. Und dann noch die direkt auf ihn gerichtete Kamera. Er fing an, auf der Stirn zu schwitzen. Wenn er den Mund hielt, gäbe es von ihm vielleicht keine Nahaufnahmen mehr und das Interview wäre schneller vorbei.
[633] »Sein Bruder ist ein einfacher Mann«, sagte Jackie, »und John Mapother hat seinen eigenen Bruder benutzt, um die Stimmen der Unterschicht zu bekommen. Doch vor diesem Wahlkampf hatte er vier Jahre lang nicht mit seinem Bruder geredet.«
John schaute nach unten auf seinen Schoß. Er dankte Gott, dass sie nicht mehr verraten hatte. Doch die medizinischen Vorboten seiner speziellen Neurose machten sich bereits bemerkbar. Sein Herz schlug gefährlich schnell. Er schaute auf und sah, dass die Interviewerin und Jackie ihn anstarrten. Als er sich mit dem Handrücken über die Stirn wischte, blieben die Härchen auf seiner Hand an der Haut kleben.
»Ich weiß nicht«, krächzte er. Seine Kehle war völlig ausgedörrt. Er räusperte sich und hatte dabei Angst, schuldbewusst zu klingen. »Ich weiß wirklich nicht, was sie da erzählt.«
»Um wieder auf das Thema zu kommen«, fuhr die Reporterin fort, »Ms. Ripplemeyer, Sie haben soeben angeboten, aus dem Wahlkampf auszusteigen, falls Ihr
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