Goebel, Joey
dass er nicht einschlafen würde, ging er hinüber ins Haus seiner Eltern und setzte sich an den Computer in Henrys Arbeitszimmer. Er suchte die MySpace-Website von Uncle Sam’s Finger, die ihn mit Jackie Stepchilds eigener MySpace-Site verlinkte. Dort konnte er ihre vielen Blogeinträge lesen, die alles mögliche Private preisgaben. So war ihre größte Angst, dass es eine Rockband gab, von der sie nachhaltig beeinflusst werden könnte, die sie aber nie entdecken würde. Ihre zweitgrößte Angst war, dass jemand [258] ernsthaft versuchen würde, den Fänger im Roggen zu verfilmen. Ihre Hobbys waren Lesen, Musikmachen und Spazierengehen. Sie mochte Al Pacino, Donnerstagabende und eine gepflegte Kopfgrippe zu bekommen, damit sie ohne schlechtes Gewissen den ganzen Tag im Bett bleiben konnte. Was sie nicht mochte, waren Muskeln, die Fernsehserie Two and a Half Men und dass junge Leute oft nicht für voll genommen wurden. Ihr Lieblingsgeräusch war das weltkluge Nuscheln von Shane MacGowans Singstimme; dafür hasste sie den Lärm von Rasenmähern. Ihr Lieblingsbuch war Sherwood Andersons Roman Winesburg, Ohio. Ihre Lieblingswrestler waren Kurt Angle und die Bushwhackers. Sie hatte keine Tätowierungen. Und, was am wichtigsten war, sie war Single.
Die meisten ihrer Blogeinträge enthielten irgendwelche Klagen, dass sie es beispielsweise für pervers hielt, Kindern beizubringen, wie man Handys benutzte, oder dass Bloggen auf MySpace öde war. Blue Gene scrollte auf dem Schirm alles durch, bis ihm die Augen aus dem Kopf quollen, doch nirgends in ihren Tiraden fand er, was er so dringend suchte: ihren Nachnamen, damit er sie im Telefonbuch nachschlagen konnte. Immerhin hatte sie nebenbei den Namen der Straße erwähnt, in der sie wohnte und der ihm bekannt vorkam, ohne dass er ihn genau einordnen konnte.
Nachdem Blue Gene alles nur Mögliche über Jackie Stepchild in Erfahrung gebracht hatte, suchte er gerade vergeblich nach sich selbst im Internet, als plötzlich krachend die Tür aufging. Er sah einen hereinhuschenden Schlafanzug und einen Revolver.
»Nicht!« Blue Gene schnellte aus dem Sessel. Adrenalin [259] schoss, so fühlte es sich an, in jede Organelle seines Körpers. »Ich bin’s!«
»Eugene!«, rief Henry und senkte die Waffe. »Was machst du denn hier?«
»Ich suche was im Internet. Was machst du denn?«
»Ich war unterwegs in die Küche, um Elizabeth ein Glas Milch zu holen, da sah ich, dass die Tür zum Arbeitszimmer geschlossen war.«
»Verdammt! Du hättest wenigstens klopfen können! Du hättest laut rufen und fragen können, wer da ist!«
Henry schob sich eine widerspenstige graue Haarsträhne aus der Stirn. Den Revolver legte er auf den Tisch. »Weil wir so viele wertvolle Dinge haben, musste ich annehmen, du wärest ein Einbrecher.« Blue Gene setzte sich wieder, schnaubte und seufzte. Auf eine Entschuldigung konnte er lange warten. »Was ist denn so wichtig, dass du um drei Uhr morgens ins Internet musst?«
»Gar nichts. Ich bin erst gegen zehn nach Hause gekommen und konnte nicht schlafen, und da Mom mir einen Schlüssel gegeben hat, dachte ich, ich geh mal rüber und schalt den Computer ein.«
»Seit wann benutzt du überhaupt einen Computer?«
»Ich wollte etwas nachsehen.«
»Was denn?«
»Ist doch egal.«
»Es muss ja offenbar etwas Wichtiges sein.«
»Nein. Meine Güte… im Zeughaus hat bloß ’ne Band gespielt, die mir gefiel, und da wollte ich mich über sie informieren.«
»Aha.« Henry setzte sich an den Schreibtisch. Er hatte [260] beigefarbene Pantoffeln und einen burgunderroten Seidenpyjama an. »Wie ist der Abend gelaufen?«
»Echt gut. Bestimmt fünfzig Leute oder noch mehr haben gesagt, sie würden John wählen.«
Henry nickte und setzte sich gerade hin. »Fühlst du dich im Poolhaus wohl?«
»Ja, danke.«
»Wir lassen dir bald einen Computer reinstellen.«
»Nö, muss nicht sein. Lohnt sich nicht, ich benutze ihn so selten.«
»Wir besorgen dir trotzdem einen. Bis es so weit ist, nimm bitte den Computer in einem unserer Büros im ersten Stock.«
»Okay.«
»Ich habe zu viel Arbeit auf meinem Computer gespeichert.«
»In Ordnung.«
»Henry?«, fragte eine Stimme aus dem Flur.
»Hier drin, Liebes«, sagte Henry. In einem geblümten Morgenrock betrat Elizabeth das Arbeitszimmer. Sogar jetzt saß ihre Frisur perfekt. »Eugene ist hier, weil er etwas im Internet sucht.«
»Dad hat eine Waffe auf mich gerichtet.«
»O mein Gott. Henry –«
»Ich hielt ihn
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