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Goebel, Joey

Goebel, Joey

Titel: Goebel, Joey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heartland
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zu.«
    »Hab ich ihn verletzt? Ist das Schleim?«
    »Entweder das oder Rückenmarkflüssigkeit.«
    »Ist das dein Ernst ?«
    »Ich habe ernsthaft gehört, dass die aus der Nase kommen kann.«
    »O Gott, Gary! Gary, wenn du mich hören kannst, hier ist Clark. Tut mir leid, Bruder. Ich wollte dich nicht so fest treffen. Wach bitte auf, Bruder.«

[255] 6
    Jackie Stepchild hatte im Durchschnitt siebenundfünfzig Alpträume im Monat, was sie auf ihr schwaches Nervenkostüm zurückführte. Die furchterregenden Szenen, die sie sich im Schlaf ansehen musste – wenn sie von Verrückten mit Skalpellklauen verfolgt wurde, wenn Minotauren Fernbedienungen in jede ihrer Körperöffnungen steckten –, waren nur nächtliche Fortsetzungen der Ängste, die sie tagsüber befielen. Und Angst zu haben, fand sie völlig normal. Sie sagte, so wie es um die Welt bestellt wäre, sei Angst die einzige angemessene Reaktion.
    Nach Jackies Ansicht ging es mit allem in der Welt, angefangen bei der aktuellen Popmusik bis hin zum ganzen Planeten, immer rapider bergab. Das galt auch für sie selbst, da es mit ihrem Leben seit der Kindheit bergab gegangen war. Ihre Jugend war eine einzige Abfolge von Liebeskummer und peinlichen Augenblicken gewesen. Als junge Erwachsene hatte sie etliche Erlebnisse gehabt, die ihr immer wieder dieselbe Lehre erteilten: Je älter du wirst, desto fester schlägt das Leben seine Fleischerhaken in dich und zerrt dich in hundert verschiedene Richtungen, und wenn du nicht als schlafloses, verängstigtes Häufchen Elend enden willst, brauchst du Geld, massenhaft Geld.
    Geld, sagte sie, sei so etwas wie eine Urgewalt, die den [256] Einzelnen nicht nur zusammenhält, sondern ihn auch mit allen anderen Menschen verbindet, während es permanent von einem Portemonnaie zum anderen, von einem Bankkonto zum nächsten fließt. Und dabei war diese Kraft nichts als rechteckige Papierstückchen. Sie hatte selbst erlebt, wozu der Mangel an diesem kostbaren Papier führen konnte: die ständige Anspannung ihrer Eltern, die (als Jackie elf war) in deren Scheidung mündete – von der ständigen Belastung der jetzigen Ehe ihrer Mutter ganz zu schweigen; immer noch mehr Hypotheken auf das Haus, nur damit die Familie finanziell über die Runden kam; das Ende aller Urlaubsreisen; die fehlenden Mittel, um ihren alkoholkranken älteren Bruder in einer Entzugsklinik unterzubringen, und natürlich ihre eigene klamme Situation, verursacht durch ihre Schwierigkeiten, für sich eine Nische als Mitglied in dem zu finden, was ihre besserwisserischen Lehrer so gern »die wirkliche Welt« genannt hatten.
    Als Heranwachsende hatte sie sich an alle Regeln gehalten, um eines Tages Geld zu verdienen und das legendäre »gute Leben« zu führen. Doch die ganze Plackerei – all die Einsen im Zeugnis, das Stipendium an einer kleinen, sechzig Kilometer entfernten Universität, ihre durchgehend hervorragenden Studienleistungen, der Bachelor in Betriebswirtschaft (mit dem ihr in Bashford eine Reihe Jobs im Einzelhandel offenstanden) und der Magister in Politikwissenschaften –, das alles hatte ihr letztlich nur eine Stellung als Vertretungslehrerin an der Highschool eingebracht.
    Jackie schlief noch im selben Zimmer, in dem sie ihre Jugend mit Mathebüffeln zugebracht hatte. Sie wohnte gern mit ihrer Mutter zusammen und ertrug ihren Stiefvater, [257] hatte aber immer das Gefühl, kein bisschen weiterzukommen. Auch sehnte sie sich danach, in einer richtig großen Stadt zu leben, wo sie furzende Busse hörte, wenn sie das Fenster öffnete, und Männer mit Baritonstimmen, die sich selbst beschimpften. Sie hatte vor, Bashford eines Tages zu verlassen, doch zurzeit konnte sie sich nicht einmal das Benzin leisten, um der Stadt den Rücken zu kehren.
    Es gab aber einen Ort, wo Angst und Frust von ihr abfielen: die Bühne. Uncle Sam’s Finger war jetzt schon Jackies dritte Band, nach The Stepchildren und Tabloid. Jackie hatte sich das Gitarrespielen selbst beigebracht, in der Hoffnung, in einer Band ließe sich das öde Kleinstadtleben leichter ertragen. Mit siebzehn hatte sie zum ersten Mal eine Gitarre in die Hand genommen, und seitdem hatten hauptsächlich Punkrock und Kurt Vonnegut, ihr Held, ihre Weltanschauung geformt.
    An dem Abend, als Blue Gene aus dem Zeughaus nach Hause kam, lag er vor Aufregung drei Stunden lang wach, weil er Jackie kennengelernt hatte, sie sofort toll gefunden hatte, aber an einer gemeinsamen Zukunft mit ihr zweifelte. Als er merkte,

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