Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
Natur bisher bekannter Zahlensysteme zuwiderläuft“, bildet jedes von ihnen eine tiefgreifende und wunderbare Erweiterung des Begriffs der ganzen Zahl: rationale Zahlen, negative Zahlen, irrationale Zahlen, imaginäre Zahlen. Für solch eine Möglichkeit sucht ~G unsere Augen zu öffnen. In der Vergangenheit wurde jede neue Erweiterung des Zahlenbegriffs mit Buh-Rufen begrüßt. Das klingt besonders deutlich in den Namen nach, die man solch unwillkommenen Neuankömmlingen gab, wie etwa „irrationale Zahlen“ oder „imaginäre Zahlen“. Getreu dieser Tradition werden wir die Zahlen, von denen ~G uns spricht, als übernatürliche Zahlen bezeichnen und damit zeigen, daß wir das Gefühl haben, sie täten allen vernünftigen, dem gesunden Menschenverstand gemäßen Vorstellungen Gewalt an.
Wenn wir ~G als sechstes Axiom von TNT hinzufügen, tun wir gut daran, uns klar zu machen, wie in aller Welt es in einem System mit der unendlichen pyramidenförmigen Familie, die wir soeben besprochen haben, koexistieren kann. Um es unverblümt zu sagen:
„Es gibt eine gewisse Zahl, die mit der Arithmoquinierung
von u ein TNT-Beweispaar bildet“
— aber die verschiedenen Mitglieder der pyramidenförmigen Familie behaupten nacheinander:
„0 ist nicht diese Zahl“
„1 ist nicht diese Zahl“
„2 ist nicht diese Zahl“
.
.
.
Das ist einigermaßen verwirrend, weil es ein absoluter Widerspruch zu sein scheint (weshalb man ihn „ω-Widerspruch“ nennt). An der Wurzel unserer Verwirrung — sehr ähnlich dem Aufspalten der Geometrie — ist unser hartnäckiger Widerstand gegen die Anwendung einer modifizierten Interpretation der Symbole, trotz der Tatsache, daß wir uns sehr wohl bewußt sind, daß das System ein modifiziertes System ist. Wir wollen uns damit durchschlagen, daß wir kein Symbol neuinterpretieren, und das wird sich natürlich als unmöglich erweisen.
Der Einklang wird damit wiederhergestellt, wenn wir ∃ neu interpretieren als „es gibt eine verallgemeinerte natürliche Zahl“ anstatt „es gibt eine natürliche Zahl“. Wenn wir das tun, werden wir auch ∀ in entsprechender Weise neu interpretieren. Das heißt, daß wir gewissen anderen Zahlen neben den natürlichen die Tür öffnen. Das sind die übernatürlichen Zahlen. Die natürlichen und die übernatürlichen Zahlen bilden zusammen die Gesamtheit der verallgemeinerten natürlichen Zahlen.
Jetzt löst sich die vermeintliche Kontradiktion in Wohlgefallen auf, denn die pyramidenförmige Familie sagt noch immer, was sie zuvor sagte: „Keine natürliche Zahlbildet mit der Arithmoquinierung von u ein TNT-Beweispaar.“ Die Familie sagt nichts über übernatürliche Zahlen, weil es für diese keine Zahlzeichen gibt. Jetzt aber sagt ~G: „Es gibt eine verallgemeinerte natürliche Zahl, die mit der Arithmoquinierung von u ein TNT-Beweispaar bildet.“ Es ist klar, daß die Familie und ~G zusammengenommen uns etwas sagen: nämlich daß es eine übernatürliche Zahl gibt, die mit der Arithmoquinierung von u ein TNT-Beweispaar bildet. Das ist alles — es liegt keine Kontradiktion mehr vor. TNT+~G ist ein widerspruchsfreies System, wenn es so interpretiert wird, daß es die übernatürlichen Zahlen einschließt.
Da wir uns nun darauf geeinigt haben, die Interpretation der beiden Quantoren zu erweitern, bedeutet das, daß jeder S ATZ , der einen von den beiden enthält, eine erweiterte Bedeutung hat. Zum Beispiel sagt uns der Kommutivitäts-S ATZ
∀a : ∀a ':( a + a ')=( a '+ a )
nunmehr, daß die Addition für alle verallgemeinerten natürlichen Zahlen kommutativ ist, in anderen Worten nicht nur für natürliche, sondern auch für übernatürliche Zahlen. Gleichermaßen sagt uns der TNT-S ATZ , wonach „2 nicht das Quadrat einer natürlichen Zahl“ ist
~ ∃a :( a · a )= SS0
nunmehr, daß 2 auch nicht das Quadrat einer übernatürlichen Zahl ist. Tatsächlich besitzen übernatürliche Zahlen alle Eigenschaften natürlicher Zahlen, solange uns diese Eigenschaften in S ÄTZEN von TNT gegeben werden. In anderen Worten: alles, was sich über natürliche Zahlen formal beweisen läßt, ist damit auch für übernatürliche Zahlen festgestellt. Das heißt insbesondere, daß übernatürliche Zahlen nicht etwas sind, womit wir bereits vertraut wären, wie zum Beispiel Brüche oder negative Zahlen oder komplexe Zahlen usw. Die übernatürlichen Zahlen stellt man sich am besten als ganze Zahlen vor, die größer sind als alle natürlichen Zahlen es
Weitere Kostenlose Bücher