Göring: Eine Karriere (German Edition)
Frau nahm Züge einer Heiligenverehrung an. Ihr zu Ehren nannte er den neuen Jagdsitz »Carinhall«. Das »-hall« entlehnte Göring vermutlich aus »Walhalla«, der großen Götterhalle der nordischen Sagenwelt, in der Wotan oder Odin die gefallenen Helden zu einem Festmahl empfing. Wenige Minuten Fußweg vom Jagdhaus entfernt, an einem Hang oberhalb des Nordufers des Wuckersees, ließer für sie – zeitgleich mit dem Bau des Jagdhauses – eine unterirdische Gruft errichten. Zwei Findlinge, in die ein Edelweiß und germanische Runen eingeritzt waren, bewachten den Eingang. Im Juni 1934 wurden Carins Gebeine aus der Familiengruft in Schweden exhumiert und in einem Staatsakt, der einer verstorbenen Königin würdig gewesen wäre, nach Carinhall überführt. Ein Sonderzug brachte den Zinnsarg zu seinem neuen Ruheort. In den Ortschaften, an denen er vorbeifuhr, wurden die Fahnen auf Görings Anordnung auf halbmast gesetzt. Hitlerjungen und tausende Frauen warteten an jeder Station, um der drei Jahre zuvor verstorbenen Ehefrau des neuen Ministerpräsidenten die letzte Ehre zu erweisen. Am 20. Juni 1934 wurde ihr Sarg unter den Klängen von Wagners »Götterdämmerung« und im Beisein zahlreicher Ehrengäste, darunter Hitler und Himmler, in der Gruft beigesetzt. An ihrer Seite, so bestimmte ein sichtlich bewegter Göring, wolle er selbst dereinst begraben werden. Als er am Nachmittag seinen »Führer« in Carinhall verabschiedete, hatten sich seine Gedanken wieder profaneren Angelegenheiten zugewandt: Es werde Zeit, dass man etwas gegen Röhm unternehme, drängte er. Zu lang schon habe Hitler dem Treiben des übermütigen SA-Chefs zugeschaut. Er jedenfalls stünde bereit, um loszuschlagen. Noch blieb Hitler stumm und fuhr ab, ohne eine Entscheidung zu fällen. Im Hintergrund aber lief die Vorbereitung für die »Nacht der langen Messer« schon auf Hochtouren.
»Einer verstorbenen Königin würdig«: Hitler und Göring verlassen nach der Beisetzung Carin Görings das zu ihren Ehren errichtete Mausoleum in Carinhall, 19. Juni 1934
Der Schreibtischtäter
Schon wenige Tage nach dem Regierungswechsel in Berlin hatte Göring sich ein Instrument geschaffen, das ihm die Macht erhalten sollte. Er wollte wissen, was im Volk vor sich ging, vor allem aber, was seine Rivalen, insbesondere jene mit Beziehungen zum Ausland, planten, dachten und empfanden. Unter dem pseudowissenschaftlich-harmlos klingenden Namen »Forschungsamt des Reichsluftfahrtministeriums« installierte er mit ausdrücklicher Billigung Hitlers einen persönlichen Geheimdienst, der ihn mit allen Informationen versorgte, die notwendig waren, um im Ränkespiel zwischen den Rivalen um Macht und Posten Oberwasser zu behalten. In »Spitzenzeiten« waren hunderte Techniker, Dechiffrier-Spezialisten und Übersetzer damit beschäftigt, Telefonate und Telegramme von Reichskanzlei und Ministerien, Parteibüros und Botschaften zu überwachen. »Feind hört mit«, galt auch für ausländische Rundfunksender und diplomatische wie militärische Geheimsender.
Göring selbst prahlte mit den Leistungen, die sein Amt beim Entschlüsseln von Nachrichten aus der Schweiz und aus dem Vatikan erzielte. Wie diese »Forschungsergebnisse« zustande kamen, interessierte ihn nur am Rande, die Verwaltung des Spionagedienstes legte Göring in die Hände seines alten Freundes Paul Körner. Viel wichtiger war, dass die exklusiven Informationen nicht nur Görings eigene Politik stützten, sondern auch den Zugang zu Hitler erleichterten. Schätzungsweise eine halbe Million Meldungen sollte das Amt in den nächsten zwölf Jahren produzieren. Rund um die Uhr dechiffrierten Abhörexperten verschlüsselte Botschaften und schrieben private und dienstliche Konversationen mit. Ob Liebesgeflüster zwischen Goebbels und der tschechischen Schauspielerin Lida Baarova, ob politische Debatten unter Auslandskorrespondenten – Görings Lauscher notierten jedes Wort, sobald er einen der von Pili Körner vorgelegten Anträge, eine Leitung anzuzapfen, mit einem großen »G« genehmigt hatte. »Was ist das?«, scherzte die Frau des vormaligen Reichskanzlers Kurt von Schleicher, dessen Telefon ebenfalls abgehört wurde. »Ohne ein i will es keiner sein. Mit einem i jeder! Na, weißt du es?« Die Antwort: »Arisch!« Feixend und schenkelschlagend gab Göring »Nachrichten« wie diese vor seinen Mitabeitern zum Besten. Andere »Forschungsergebnisse«, die in den »Braunen Blättern« gesammelt und Göring
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