Göring: Eine Karriere (German Edition)
besaß. Von dort ging es über Köln nach Essen, wo Gauleiter Terboven im Beisein des Diktators Hochzeit feierte. Nach der Feier zog Göring sich mit Hitler in das Hotel Kaiserhof zurück. Zu ihnen stieß Görings Staatssekretär Körner, der neue belastende »Forschungsberichte« gegen Röhm aus Berlin mitbrachte. Hitler gab sich überzeugt: Er habe genug gesehen und sei nun entschlossen, gegen Röhm vorzugehen, erklärte er der Runde. Befriedigt kehrte Göring nach Berlin zurück, um dort die notwendigen Maßnahmen im Verein mit Himmler zu leiten.
Die ganze Aktion wurde als Staatsnotwehr bezeichnet. Es war ja ein Anschlag auf das Leben des Führers beabsichtigt, und die rasche Handlungsweise sollte als abschreckendes Beispiel gelten.
Göring
Am 30. Juni 1934 erfolgte das Kommando zum Losschlagen. Aufgestachelt durch neue Berichte über einen angeblichen Aufmarsch der SA in München, flog Hitler nach Bayern. An der Spitze eines SS-Trupps verhaftete er persönlich in den frühen Morgenstunden den völlig überraschten Röhm in seinem Urlaubsort Bad Wiessee. Goebbels, der Hitler begleitete, rief umgehend Göring an und nannte das verabredete Stichwort: »Kolibri«. Sofort setzte Göring den vereinbarten Mordplan in Berlin in Gang. Über Nacht hatte er sein neues Dienstpalais am Leipziger Platz verbarrikadieren lassen. Hinter den Sandsäcken hatte sich die Landespolizei mit entsichertem MG postiert. Kurz darauf meldete sich Himmler bei ihm. Im Kreis vertrauter Mitarbeiter gingen beide gemeinsam die »schwarzen Listen« durch, die sie aus den Schubladen geholt hatten. Himmler, so erläuterte Görings Vertrauter Erhard Milch später die Szene, las laut die Namen vor, zu denen Göring entweder bejahend nickte oder verneinend den Kopf schüttelte. Im Stile römischer Cäsaren, in deren Händen das Schicksal besiegter Gladiatoren lag, urteilten sie über Tod und Leben. Wer auf der Liste blieb, war des Todes, soweit die Mordkommandos seiner habhaft wurden. Ausgerechnet Görings ehemalige Kadettenanstalt in Berlin-Lichterfelde, nun Quartier der neuen »SS-Leibstandarte Adolf Hitler«, wurde zum Zentrum der befohlenen Morde. Lastwagenweise karrte die SS ihre Gefangenen auf den Kasernenhof, wo sie mit nacktem Oberkörper an die Mauer der Kapelle gestellt und erschossen wurden. 43 hohe SA-Führer starben im Kugelhagel ihrer einstigen Kameraden. Ihr Tod und der zahlreicher anderer zwang die Redakteure des »Deutschen Führer-Lexikons« zu Überstunden. Weil am 15. Juni 1934 Redaktionsschluss für den Jahrgang 1934/35 gewesen war, mussten nachträglich 81 Namen von ermordeten oder in Ungnade gefallenen SA-Führern entfernt werden. Die Stellen, die für die Fotos dieser »Verschwörer« vorgesehen waren, blieben schwarz umrandete Freiflächen – ein makabrer Nachruf.
In der »Nacht der langen Messer«, wie sie nach einem Wort Goebbels genannt wurde, stieg Göring endgültig zum politischen Verbrecher ab. Ohne Skrupel nutzte er im Verbund mit Himmler die Gunst der Stunde, um alte Rechnungen zu begleichen. Eines der Opfer war der siebzigjährige Gustav von Kahr, der als bayerischer Generalstaatskommissar den Putsch von 1923 niedergeschlagen hatte. Er wurde im Konzentrationslager Dachau ermordet, seine Leiche zerstückelt. Wie er starb der einstige Reichskanzler Kurt von Schleicher. Ein SS-Kommando erschoss ihn und seine Frau in ihrer Villa in Babelsberg – weil er sich angeblich der Verhaftung widersetzt hatte. Unbekümmert stellte Göring sich vor die Presse und rechtfertigte das Morden: Seit Monaten seien vonseiten der SA-Führung Pläne geschmiedet worden, »um die Bewegung zu schädigen, den Staat zu stürzen und einen Staat aufzurichten, der dann ein Staat dieser kranken Individuen geworden wäre. … Die armen SA-Männer sind alarmiert worden, sie wurden bewaffnet und wussten nicht, wozu. Man sagte: Gegen die Reaktion, und marschierte gemeinsam mit ihr. Das war das Verwerflichste, dass die oberste SA-Führung das Phantom einer zweiten Revolution gegen die Reaktion errichtete und selbst mit ihr eng verbunden war. Der Hauptmittelsmann war der frühere Reichskanzler General von Schleicher, der die Verbindung knüpfte zwischen Röhm, einer ausländischen Macht und jenen unzufriedenen, gestrigen Gestalten. Ich habe meine Aufgabe erweitert, indem ich auch gegen diese Unzufriedenen einen Schlag führte.«
Am späten Abend empfing Göring den aus Bayern zurückkehrenden Hitler mit militärischen Ehren am Flughafen Tempelhof.
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