Göring: Eine Karriere (German Edition)
Inmitten des Mordens, das er selbst veranlasst hatte, gab sich der »Führer« merkwürdig ambivalent. Er, der bei der Verhaftung Röhms über den »größten Treuebruch der Weltgeschichte« gewettert hatte, besuchte am Tag darauf in Berlin ein Gartenfest für Parteiprominenz und Kabinettsmitglieder. Während in Lichterfelde noch die Salven der Erschießungskommandos krachten und die Familien der in der Nachbarschaft wohnenden Offiziere verstört ihr Viertel verließen, zeigte sich Hitler in aufgeräumter Laune unter seinen Gästen, plaudernd, Tee trinkend, Kinder tätschelnd. »Es steckt ein großes Stück Psychologie in der Szene, unschwer drängt sich die Physiognomie eines der Shakespeareschen negativen Helden auf, die dem Bösen nicht gewachsen sind«, urteilt Hitler-Biograph Joachim Fest.
Scheinbar widerstrebend, als würde er nur dem Drängen Görings und Himmlers nachgeben, ließ Hitler es zu, dass Ernst Röhm im Gefängnis München-Stadelheim von zwei SS-Männern erschossen wurde. Als ihm wenige Tage später die Liste mit den Namen der Ermordeten vorgelegt wurde, soll er einem Augenzeugen zufolge sprachlos vor Empörung gewesen sein über die eigenmächtige Ausweitung der Liquidierung durch Göring und Himmler. Statt die Täter jedoch zu bestrafen, belohnte er sie: Himmlers SS, die bislang formell der SA unterstanden hatte, wurde zur eigenständigen Organisation erklärt. Zug um Zug übernahm der Reichsführer-SS die gesamte Polizeigewalt in Deutschland; sein schwarzer Orden wurde zum Synonym für den Terror- und Überwachungsstaat. Auch Görings Eifer zahlte sich aus. Dem »Führer« gefiel, wie »eiskalt« sein »treuester Paladin« in Krisenzeiten handelte. Göring, der Haudegen, hatte sich einmal mehr bewährt. Als Staatspräsident Hindenburg am 2. August 1934 verstarb und Hitler sich das Amt des Staatsoberhaupts aneignete, erfüllte sich Görings größter Wunsch. Am 7. Dezember bestimmte Hitler per Geheimerlass, dass Göring – »sollte ich an der Ausübung der in meiner Person vereinigten Ämter des Reichspräsidenten und Reichskanzlers verhindert sein« – sein Stellvertreter und im Falle seines Todes sein Nachfolger werden sollte. Damit rückte Göring offiziell zum »zweiten Mann« hinter Hitler auf.
»Er [Göring] hat unmittelbar nach meinem Tode die Mitglieder der Reichsregierung, die Wehrmacht des Deutschen Reiches sowie die Formationen der SA und SS auf seine Person zu vereidigen.«
Gesetz über die Nachfolge Hitlers, Dezember 1934
Über das Morden, dem er seinen neuen Karriereschub verdankte, äußerte Göring weder damals noch später Bedauern. Am 2. Juli 1934, zwei Tage nach dem Beginn der Morde, lud er Himmler, Reichswehrminister von Blomberg sowie Körner und Milch zu einem exquisiten Krebsessen ein, um den Sieg über Röhm gebührend zu feiern. Fünf Tage später spendierte er den Beamten der von ihm gegründeten und jetzt von Himmler geführten Gestapo eine Feier auf seinem neuen Jagdhof Carinhall. Fotos zeigen Göring, wie er Autogramme gibt, während die Informanten, Wärter und Richter der braunen Bartholomäusnacht in einem eigens errichteten Biergarten mit ihren Frauen und Freundinnen feiern. Noch im Verlauf des Nürnberger Prozesses brüstete sich Göring damit, dem »dreckigen, homosexuellen Schwein« Röhm und seiner »Blase perverser, blutgieriger Revolutionäre« den Garaus gemacht zu haben: »Was war doch die SA für eine Rotte perverser Banditen! Es ist eine verflucht gute Sache, dass ich sie beseitigte, oder sie hätten uns umgebracht!« Dennoch blieb er um das Urteil der Nachwelt besorgt. Die Polizeidienststellen wies er unmittelbar im Anschluss an die Morde an, »alle mit der Aktion der beiden letzten Tage zusammenhängenden Akten... zu verbrennen«.
Der zweite Mann
Nach der inneren Konsolidierung der Macht sah sich Göring nach neuen Ämtern und Aufgaben um. Die Entmachtung des Reichstags und die Gleichschaltung der Länder, die ihre traditionelle Eigenständigkeit und Selbstverwaltung im neuen Führer-Staat verloren, untergruben die Bedeutung seiner Stellung als Reichstagspräsident und preußischer Ministerpräsident. Um diesen Verlust zu kompensieren, verlagerte Göring das Schwergewicht seiner Stellung nun auf andere Ämter, die er bereits besaß oder in Bälde zu erwerben trachtete. In der für ihn charakteristischen Mischung aus Machtgier und Repräsentationsdrang war er freilich nie bereit, eine einmal erreichte Würde freiwillig aufzugeben, und sei
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