Göring: Eine Karriere (German Edition)
früher oder später an das Reich fallen müsse. Für eine Wand in Carinhall hatte er eine kunstvolle Landkarte anfertigen lassen, auf der pikanterweise die Grenze zwischen Deutschland und Österreich fehlte. Mit Vorliebe führte Göring italienische und österreichische Gäste an ihr vorbei und freute sich, wenn seine Taktlosigkeit bemerkt wurde. »Es ist eine so schöne Karte, und ich möchte sie nicht ständig ändern müssen. Deshalb habe ich sie gleich so anfertigen lassen, wie es ohnehin bald aussehen wird«, erklärte er dann mit falscher Freundlichkeit.
Sein forsches Auftreten imponierte Hitler, der sich gerne mitreißen ließ. Am 12. Februar 1938 machte der »Führer« persönlich Druck. Der österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg besuchte Hitler auf dessen »Berghof« bei Berchtesgaden. Dabei forderte Hitler seinen »Gast« ultimativ auf, den österreichischen Nazi Arthur Seyß-Inquart zum Innenminister zu machen und eine Wirtschaftsunion der beiden Länder auf den Weg zu bringen. Um seine Worte zu unterstreichen, hatte Hitler einige der »am brutalsten aussehenden Generäle« der Wehrmacht zu den Gesprächen befohlen, die sich während des Mittagessens laut über die neuen Bomben und Flugzeuge unterhielten. Eingeschüchtert nahm Schuschnigg alle Bedingungen an und ließ sie drei Tage später als »Berchtesgadener Abkommen« ratifizieren. Hitler und Göring gratulierten sich gegenseitig. Der »Anschluss« Österreichs schien ihnen nur noch eine Frage der Zeit zu sein und auf friedlichem Wege zu erreichen. Österreich werde nun ganz von allein näher an Deutschland heranrücken, äußerte Hitler zu einem Adjutanten, sicher aber noch schneller, wenn Schuschnigg eine »Dummheit« beginge.
Oben: »Netz schmieriger Intrigen«: Nach der Heirat von Kriegsminister Blomberg (Mitte) mit der mehr als 35 Jahre jüngeren Erna Gruhn (links daneben) wurde Blomberg aus dem Amt gedrängt Unten: »Sie haben keinen Sinn für ihre eigene Komik«: Göring erhält aus den Händen Hitlers den Marschallstab, 1. März 1938
In der österreichischen Angelegenheit war Göring Souffleur und Spielleiter der diplomatischen »Tragikomödie«, die sich vor einer entrüsteten, aber schweigenden Welt abspielte.
Ralph G. Albrecht, US-Ankläger in
Nürnberg
Vier Wochen später, am 9. März 1938, beging Schuschnigg ebendiese Dummheit. Überraschend kündigte er für Sonntag, den 13. März, eine Volksbefragung an, in der die Österreicher über die Frage des Anschlusses entscheiden sollten. Der Kanzler hoffte auf ein Nein, das ihm Rückhalt gegen Hitler geben sollte. Als dieser von Schuschniggs Überraschungscoup erfuhr, war er zunächst wie gelähmt. Aber noch in der Nacht telefonierte er mit Göring, der sich am nächsten Morgen zur Krisenbesprechung in der Reichskanzlei einfand. In den entscheidenden zwei Tagen, dem 10. und dem 11. März, war es Göring, der nun das Heft in die Hand nahm. Wie ein Trainer, der seinen Boxer anfeuert, drängte Göring den zaudernden Hitler in den Ring. Unter seinem Einfluss entschied Hitler am Nachmittag des 10. März, unter allen Umständen eine Absetzung der Volksbefragung zu erzwingen. Am Abend jenes Tages setzte Göring einen Brief an Schuschnigg auf, in dem er ultimativ dessen Rücktritt forderte. Mit demselben Kurier ging in der Nacht ein von Göring entworfenes Schreiben an Seyß-Inquart, in dem dieser aufgefordert wurde, sich an die Spitze einer neuen österreichischen Regierung zu setzen, die Berlin um den Einmarsch deutscher Truppen bitten sollte. In eigener Sache wies Göring Seyß-Inquart zugleich an, seinen Schwager Franz Hueber als Justizminister mit ins Kabinett zu nehmen.
Der 11. März 1938 wurde zum Tag der Entscheidung. Aus einer Telefonzelle der Reichskanzlei, in die er seine massige Gestalt zwängte, stellte Göring in 27 Gesprächen zwischen Berlin und Wien die Weichen in Richtung »Anschluss«. Auftragsgemäß zeichnete sein »Forschungsamt« alle Gespräche auf. Die Abhörprotokolle, gut 100 Seiten dick, wurden nicht wie üblich vernichtet, sondern überdauerten im Geheimarchiv Görings, der im Unterschied zur Mordsache Röhm seine herausragende Rolle in dieser Angelegenheit für die Nachwelt dokumentieren wollte. Sein wichtigster Gesprächspartner am frühen Morgen war Seyß-Inquart. Der österreichische Bundespräsident Wilhelm Miklas weigere sich, erfuhr er, einen Nationalsozialisten anstelle Schuschniggs zum neuen Bundeskanzler zu ernennen. Göring befahl
Weitere Kostenlose Bücher