Göring: Eine Karriere (German Edition)
Seyß-Inquart, Miklas umgehend noch einmal aufzusuchen und diesmal den deutschen Militärattaché mitzunehmen: »Wenn unsere Forderungen nicht unverzüglich angenommen werden, dann erfolgt heute Nacht der Einmarsch, und mit der Existenz Österreichs ist es vorbei! Sagen Sie ihm, es gibt keinen Spaß jetzt. … Wenn der Miklas das nicht in vier Stunden kapiert, muss er es jetzt eben in vier Minuten kapieren.« Seyß-Inquart tat, wie ihm befohlen, doch erfolglos. Der Tag verging, ohne dass Miklas einlenkte. Kurz nach 20 Uhr rief Seyß-Inquart erneut Göring an, um den Misserfolg seiner Mission zu melden. Jetzt zögerte Göring nicht länger. Ohne das verabredete Telegramm Seyß-Inquarts abzuwarten, in dem dieser um »baldmöglichste Entsendung deutscher Truppen« bat, gab er kurz danach »im Namen des Führers« den Befehl zum Einmarsch. Die Dinge waren im Rollen.
Während Hitler im Sog Görings in der Reichskanzlei die entsprechenden Befehle unterzeichnete, war der Generalfeldmarschall bereits unterwegs ins »Haus der Flieger«. Als hätte ein Dramaturg die Szene ausgerichtet, fand eben an diesem Abend ein alljährlicher Ball statt, zu dem Göring das gesamte diplomatische Korps geladen hatte. Trotz der Krise waren fast alle erschienen, nur der österreichische Botschafter und sein Militärattaché hatten sich entschuldigen lassen. Zwischen Sekt, Tanz und Ballett gab Göring letzte Anweisungen für den Einmarsch. Unauffällig nahm er den italienischen und den britischen Botschafter beiseite, um sie über die Operation zu informieren. Die Reaktion war eisig, sie entspannte sich jedoch bald aufgrund guter Nachrichten. Kurz vor 21 Uhr meldete ein Gewährsmann aus Wien, Bundespräsident Miklas habe den österreichischen Truppen befohlen, keinen Widerstand zu leisten. Wenig später traf aus Rom die Nachricht ein, Mussolini habe den Einmarsch der deutschen Truppen gebilligt. Da auch aus London kein wütender Protest kam, beglückwünschten sich Göring und Hitler wechselseitig. Das Fait accompli war gelungen. »Dies ist der glücklichste Tag in meinem Leben«, teilte Hitler Göring mit, bevor er am nächsten Tag frühmorgens nach München flog, um von dort aus nach Österreich weiterzureisen.
Göring blieb als offizieller Vertreter Hitlers in Berlin zurück und hörte am Radio, wie Hitler bei der Ankunft in seiner Heimatstadt Linz begeistert gefeiert wurde. Als der »Führer« unter dem Eindruck des Jubels noch am selben Tag den »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich beschloss, war selbst Göring vom Tempo der Entwicklung überrascht. Bis zuletzt und auch zu Recht brüstete er sich jedoch, der Motor des Erfolgs gewesen zu sein. »Es war weniger der Führer als ich selbst, der hier das Tempo angegeben hat und sogar über Bedenken des Führers hinwegschreitend die Dinge zur Entwicklung gebracht hat«, gab er im Nürnberger Prozess unwidersprochen zu Protokoll.
»Eine einzige Triumphfahrt«: Wie hier in Wien wurde Göring überall in Österreich begeistert begrüßt
Zwei Wochen später brach er selbst nach Österreich auf. Zweimal, vom 24. März bis zum 2. April und vom 12. bis zum 17. Mai unternahm er eine Rundreise durch die »Ostmark«. In der für ihn typischen Weise verwob er politische, propagandistische und private Anlässe zu einer einzigen Triumphfahrt. Bei einer Dampferfahrt auf der Donau ließ er sich von den führenden Industriellen des Landes die Wirtschaftslage Österreichs erklären, besuchte Sehenswürdigkeiten und inspizierte das Terrain für künftige Flugplätze. Eine ganz besondere Station auf seinem Weg war Mauterndorf, das Schloss seiner Kindheit, in dem noch immer die Witwe seines Taufpaten, Elisabeth von Epenstein, wohnte. Farbaufnahmen zeigen Hermann Göring im Schloss mit seinen Schwestern Olga und Paula. Wie ein heimkehrender Prinz wurde Hermann Göring von seiner Familie und den Bewohnern des angrenzenden Dorfes empfangen. Er nutzte den Besuch, um der ältlichen Witwe sein Interesse an den Schlössern seines Patenonkels zu signalisieren, die die Kulisse für die Ritterträume seiner Jugend gebildet hatten. War es seine gewinnende Art, Geld oder sanfte Erpressung? Elisabeth von Epenstein wollte oder wagte nicht, dem Triumphator aus Berlin seine Wünsche abzuschlagen. Noch im selben Jahr ging Burg Veldenstein in Görings Besitz über. Als Elisabeth von Epenstein im September 1939 starb, fiel auch Mauterndorf als Vermächtnis an den Feldmarschall. Die Verwandten der Verstorbenen
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