Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Göring: Eine Karriere (German Edition)

Göring: Eine Karriere (German Edition)

Titel: Göring: Eine Karriere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Knopp
Vom Netzwerk:
ärmelloser Weste und grünen Stulpenstiefeln erschien. Mit mäßigem Interesse folgte er einem langen Lagebericht: »Wir saßen alle bei Tisch, als Göring plötzlich seinen Staatssekretär Gritzbach mit donnernder Stimme fragte: ›Gritzbach, wie ist die Lage?‹ Alles erstarrte. Peinliches Schweigen breitete sich aus. ›Ja, ja, Herr Reichsmarschall, hm, wir haben die Lage doch gerade besprochen. …‹ ›Na, Mensch, diese Lage meine ich doch nicht! Die Lage, die mich wirklich interessiert, ist die in Rominten! Wo ist das Wild? Wo stehen die Hirsche?‹ Ein paar Minuten später kam der Staatssekretär vom Telefon zurück. ›Herr Reichsmarschall, ich melde, dass der Hirsch ›Großer Kurfürst‹ nicht mehr im Revier 24 steht, sondern nach Revier 75 gewechselt hat. Dort steht er mit drei weiteren Hirschen und einem starken Rudel Kahlwild.‹ Göring lachte und sagte: ›Sehen Sie, Gritzbach, das ist die Lage, die mich interessiert. Die will ich jetzt jeden Abend berichtet haben.‹«
     
    Die Gegensätze zwischen Göring und Hitler traten im Lauf des Jahres 1943 immer stärker zutage. Die Weggefährten der frühen Zeit der nationalsozialistischen Bewegung, das Gespann der Jahre nach der »Machtergreifung« entfremdete sich immer mehr. Seit Anbeginn der Zusammenarbeit hatte Hitler darauf geachtet, Göring auf Distanz zu halten. Mit Röhm etwa hatte sich der »Führer« geduzt, den Reichsmarschall siezte er stets. Wie unterschiedlich die beiden Männer doch waren: Hitler legte wenig Wert auf Äußerlichkeiten und lebte in seinen Hauptquartieren ein spartanisches Soldatenleben, zelebrierte die Askese geradezu. Göring hingegen frönte einer geradezu barocken Prachtentfaltung. Während der »Führer« sich mehr und mehr ausschließlich in die Welt der Kriegführung zurückzog, schien der Krieg für Göring über weite Strecken bloß Kulisse zu sein für seine privaten Vergnügungen wie den »Erwerb« von Kunst oder die Jagd. Die Freiheiten, die Hitler auch anderen Paladinen – etwa den Gauleitern – in der privaten Lebensführung ließ, schöpfte Göring bis zur Neige aus. Für andere Oberbefehlshaber wäre es undenkbar gewesen, auf dem Höhepunkt einer entscheidenden Schlacht für mehrere Wochen in den Urlaub zu fahren und das Kommando einem Stellvertreter zu überlassen. Doch auch Hitlers Toleranz hatte Grenzen. Seit Ende 1943 kippte seine Kritik ins Persönliche. Es kam nun immer häufiger vor, dass Hitler sich in abfälligen Bemerkungen über die teilweise grotesken Kostümierungen seines Stellvertreters und dessen Verschwendungssucht äußerte.
    Deshalb geht ihm [Hitler] das Versagen Görings so nah, weil er weiß, dass er der Einzige ist, der, wenn ihm etwas passieren sollte, an seine Stelle treten könnte.
    Goebbels, Tagebuch, 22. Juni 1943
     
    Bei allem Befremden, bei allen Enttäuschungen und Misserfolgen – das Band zwischen dem »Führer« und seinem »ersten Paladin« war noch nicht zerrissen, auch dann noch nicht, als dieser zusehends ins Operettenhafte abglitt. Görings Sonderstellung blieb erhalten. Als zweiter Mann im Reich war er für den Diktator unverzichtbar, trotz aller Unfähigkeit des Luftwaffenchefs. Die immer noch vorhandene Autorität Görings schien an der Führungsspitze des Reiches unentbehrlich. Eine Trennung von seinem designierten Nachfolger hätte Hitler nach eigener Einschätzung geschadet. Sollte seine Aura als mächtiger »Führer« intakt bleiben, der seine wichtigsten Personalentscheidungen weitblickend fällte, um die Existenz des Reiches auch für die Zukunft zu sichern, so musste er Göring als Nachfolger unbehelligt lassen. Die wechselseitige »Nibelungentreue« hatte aber auch andere Gründe. Beide Männer bewahrten sich bis zum Schluss eine gewisse Bewunderung für den jeweils anderen. Bis zu einem gewissen Grad blieb Hitler von Göring fasziniert und umgekehrt. Weder wollte noch konnte sich der Diktator von dem Bild des starken, skrupellosen, entscheidungsfreudigen »alten Kämpfers« lösen, das Göring in den frühen Jahren der NSDAP und des »Dritten Reichs« verkörpert hatte. Noch im Juli 1943 schwärmte Hitler von Görings Qualitäten als Ratgeber in Krisenzeiten: »Der Reichsmarschall hat sehr viele Krisen mit mir durchgemacht, ist eiskalt in Krisen. Einen besseren Ratgeber in Krisenzeiten kann man nicht haben als den Reichsmarschall. Ich habe immer gemerkt, wenn es auf Biegen und Brechen kommt, ist er der rücksichtslose, eisenharte Mensch. Also, da kriegen Sie

Weitere Kostenlose Bücher