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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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mich hängen ich weiß nichts.
Sich selbst gibt er keine Schuld, wenn es mit seinen Studien nicht vorangeht. Das ist eine Spitze gegen den Vater, der ihm ja den Studienort aufgedrungen hatte.
    Schon in den ersten Leipziger Wochen hatte es trotz Beklemmung und Fremdheitsgefühl doch auch Augenblicke des Übermutes und der Fröhlichkeit gegeben. Einem Brief an Riese legte Goethe eines seiner Gedichte bei, die ihm so leicht von der Hand gingen, da er sie nebenher und ohne sonderliche Ambitionen niederschrieb, und die ihm darum besonders gut gelangen:
So wie ein Vogel, der auf einem Ast / Im schönsten Wald, sich, Freiheit atmend wiegt. / Der ungestört die sanfte Luft genießt. / Mit seinen Fittichen von Baum zu Baum / von Busch zu Busch sich singend hinzuschwingen.
Ein halbes Jahr später klagt er demselben Freund sein Leid.
Einsam, Einsam, ganz einsam
sei er. Und wieder malt ein kleines Gedicht seinen Seelenzustand:
Es ist mein einziges Vergnügen, / Wenn ich entfernt von jedermann, / Am Bache, bei den Büschen liegen, / An meine Lieben denken kann.
Er schildert, in Prosa, was ihn bedrückt und in die Einsamkeit treibt, und schon nach wenigen Sätzen geht er wieder zum erzählenden Gedicht über.
Du weißt, wie sehr ich mich zur Dichtkunst neigte, / Wie großer Haß in meinem Busen schlug, / Mit dem ich die verfolgte, die sich nur / Dem Recht und seinem Heiligtume weihten /
〈...〉
/ Wie sehr ich (und gewiß mit Unrecht) glaubte, / Die Muse liebte mich und gäb mir oft / Ein Lied.
〈...〉
/ Allein kaum kam ich her, als schnell der Nebel / Von meinen Augen sank, als ich den Ruhm / Der großen Männer sah, und erst vernahm, / Wie viel dazu gehörte, Ruhm verdienen. / Da sah ich erst, daß mein erhabner Flug, / Wie er mir schien, nichts war als das Bemühn / Des Wurms im Staube, der den Adler sieht, / Zur Sonn sich schwingen und wie der hinauf / Sich sehnt
. 〈...〉
    Ehe das Klagen monoton wird, fällt dem Autor zum Glück noch eine witzige Wendung ein. Der Wurm, der dem Höhenflug des Adlers neidisch zusieht, wird plötzlich von einem Wirbelwind erfaßt und zusammen mit dem Staub auch nach oben getragen. Da kann er sich auch erhaben fühlen – für kurze Zeit, bis der Wind den
Odem
einzieht.
Es sinkt der Staub hinab, / Mit ihm der Wurm. Jetzt kriecht er wie zuvor.
    Der junge Autor gibt sich allerdings zerknirschter als er ist, denn noch dichtet er munter fort. Es sind Gedichte, in denen er mit seinem Dichtertum hadert und die Selbstzweifel vorbringt. Einstweilen will er, wie er seiner Schwester im September 1766 schreibt, seine Gedichte nur als schmückende Beigabe in den Briefen verwenden.
    Noch ist er eingeschüchtert von den
großen Männern
der Literatur, die in Leipzig den Ton angeben. Dem bedeutendsten, Lessing, wagt er gar nicht unter die Augen zu treten. Eine Gelegenheit hatte sich geboten, als Lessing aus Anlaß der Aufführung der »Minna von Barnhelm« zu Besuch in Leipzig weilte.
    Die andere Koryphäe am Ort war der Professor Gellert. Er war durch seine Fabeln, Lustspiele und den Roman »Leben der schwedischen Gräfin von G.« wahrscheinlich der damals berühmteste und am meisten gelesene Autor in Deutschland. Klopstock wurde verehrt, aber Gellert las man. Der aufklärerische Gedanke wurde gefühlvoll vorgetragen und konnte deshalb gefallen, erzieherische Absichten wurden im Plauderton versteckt. Gellert machte es seinen Lesern nicht schwer, er mied jedes Extrem und war auf eine vernünftige Weise fromm, etwa wenn er den Lobpreis der Schöpfung anstimmt: »Wer schließt den Schoß der Erden auf, / Mit Vorrat uns zu segnen?«; seine Gedichte eigneten sich fürs Gesangbuch und seine Fabeln für die Schülerfibel. Gellert scheute nicht die moralische Gebrauchsanweisung und lebenspraktische Ratschläge. Die Dichter ermahnte er: »Soll euer Witz die Welt entzücken, / So singt, solang ihr feurig seid«. Er selbst hatte, wenige Jahre vor seinem Tod, seinen Witz inzwischen verloren und zu dichten aufgehört, als ihn Goethe im Hörsaal erlebte, wo er hauptsächlich über Moral las, kränklich, bescheiden, mit dünner Stimme und behutsamen Bewegungen. Er galt noch etwas beim Publikum und man begegnete ihm mit großem Respekt. Er kam auf einem Schimmel, einem Geschenk des Kurfürsten, gemächlich zu den Kollegstunden angetrabt. Die Studenten durften ihm ihre schriftstellerischen Versuche vorlegen. Er nahm sie mit nach Hause und korrigierte sie mit roter Tinte und besprach ausgewählte Arbeiten in der nächsten

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