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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Veränderungen. Eduard versucht die Bedenken zu zerstreuen:
Das kann wohl geschehen
〈...〉
bei Menschen, die nur dunkel vor sich hin leben, nicht bei solchen, die schon durch Erfahrung aufgeklärt sich mehr bewußt sind
. Darauf antwortet Charlotte mit einem unheimlichen Satz, dessen Bedeutung der Fortgang der Geschichte erweisen wird:
Das Bewußtsein
, sagt sie,
ist keine hinlängliche Waffe, ja manchmal eine gefährliche für den, der sie führt
. Der Satz verweist bereits auf die Doppelbödigkeit des Geschehens. Welches unbewußte Verlangen versteckt sich hinter der rational begründeten Einladung des Hauptmanns? Man tauscht sich aus und spricht vernünftig miteinander, das Bewußtsein scheint Regie zu führen, in Wirklichkeit aber sind es Gefühle und ein Begehren, das noch nicht zur Sprache kommt. Jedenfalls bleibt Eduard hartnäckig, und man einigt sich schließlich darauf, sowohl den Hauptmann einzuladen als auch Ottilie, die Pflegetochter Charlottes. Damit kann die zunächst beglückende und dann fatale Entfesselung der Wahlverwandtschaften beginnen.
    Von welcher Art sind diese Kräfte, die sich offenbar hinter und gegen das bewußte Wollen der Beteiligten durchsetzen? Es sind Schicksalsmächte, die göttlich oder dämonisch walten, aber nicht über den Menschen, sondern in ihnen und zwischen ihnen. Für Goethe sind es Naturmächte, die ihre
trübe
Spur ziehen im Reich der
heitern Vernunft-Freiheit
, wo man glaubt, man verliebe sich aus freien Stücken, und Liebe sei überhaupt eine Bewegung aus Freiheit.
    Die Politik ist das Schicksal, hatte Napoleon zu Goethe im Oktober 1808 gesagt, als Goethe bereits an dem Roman arbeitete. Die innere Natur ist das Schicksal, darauf läuft es im Roman hinaus. In der Gartenlandschaft Eduards und Charlottes spielt Politik keine Rolle. Zwar stürzt sich Eduard am Ende des ersten Buches in einen Krieg, doch nicht um der Politik willen, sondern um die Trennung von Ottilie ertragen zu können.
Eduard sehnte sich nach äußerer Gefahr, um der innerlichen das Gleichgewicht zu halten
.
    Nicht nur die Schicksalsmacht der Politik wird ausgeblendet, sondern auch die transzendente, göttliche Schicksalsmacht der Romantiker, wie sie etwa zum Vorschein kommt in den Schicksalstragödien des Zacharias Werner.
    Es ist kein Zufall, daß Goethe gerade in der Zeit der Arbeit am Roman sich besonders heftig gegen die Romantiker, die Tieck, Schlegel, Görres aussprach, die aus seiner Sicht ›im Drüben fischen‹ und ihren katholisierenden Neigungen die Zügel schießen lassen. Inzwischen paßt ihm, der sich einst von den Brüdern Schlegel gerne in den Himmel heben ließ, die ganze Richtung nicht mehr. Ein Ärgernis war ihm ein Anfang 1808 erschienener Artikel in der »Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst«, der die Romantiker, insbesondere Novalis und Friedrich Schlegel, als Poeten noch über Goethe stellte. Erst die romantische Poesie, heißt es dort, sei »idealistisch, d.h., den Dualismus des Himmlischen und Irdischen, gleich dem Christentume, in der Idee des Göttlichen und Heiligen zur geistigen Einheit verklärend; Göthes Poesie dagegen ist, wie die heidnische, realistisch.«
    Was hier als Tadel gemeint war, nahm Goethe mit trotzigem Ärger als Lob:
Übrigens,
schreibt er im März 1808 an Jacobi,
bin ich nur zu sehr geehrt von dem was die Herren von mir sagen. Ein solches Lob hatte ich wohl zu verdienen gewünscht aber nicht gehofft, und es soll mir nunmehr höchst angenehm sein, als letzter Heide zu leben und zu sterben
. Wenig später polterte Goethe bei einer Geselligkeit im Salon der Johanna Schopenhauer gegen die Romantiker los. In jeder Saison werde ein neuer Imperator der Literatur ausgerufen. Jetzt seien die Romantiker dran. Man fühle sich ans Ende des Römischen Reiches erinnert, als jeder Garkoch und jeder einfache Soldat Imperator werden konnte. Heute ist Friedrich Schlegel der Gekrönte, es hätte auch Novalis treffen können, wenn er noch lebte. Der Arme hatte es zu eilig mit dem Sterben.
Man soll sich, wie es der rasche Gang unserer neuesten Literatur fordert, so schnell als möglich mit Ruhm, aber so langsam als möglich mit Erde bedecken
. Gegen Novalis hegte Goethe übrigens einen besonderen Groll, seit er im soeben von Tieck herausgegebenen Nachlaß die herabsetzende Bemerkung über »Wilhelm Meister Lehrjahre« gefunden hatte.
    Goethes
Diatribe gegen die neuen Dichterlinge
wurde überall in Weimar herumerzählt. Sie war auch witzig genug. Der Literaturimperator,

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