Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
sagte er, lebe gottlob ungefährlich.
Es stirbt ein Jeder ruhig auf seinem Bette anstatt daß die alten römischen Imperatoren meist erdrosselt wurden
. Auch wisse er es zu schätzen, morgens aufzuwachen, zwar nicht mehr als Imperator, aber wenigstens sei der Kopf noch oben. Den Romantikern könne das alles wenig anhaben, stünden sie doch sowieso mit einem Bein im Jenseits. Romantische Frömmigkeit? Die könne er nicht ernstnehmen. Sie sei nichts anderes als Suche nach einem interessanten Stoff.
Die gemeinen Stoffe, die das Talent gewöhnlich ergreift, um sie zu behandeln, waren erschöpft, und verächtlich gemacht. Schiller hatte sich noch an das Edle gehalten; um ihn zu überbieten mußte man nach dem Heiligen greifen
.
Im Sommer 1808 kam die Nachricht von Friedrich Schlegels Übertritt zur katholischen Kirche. Darüber schreibt Goethe an Reinhard, der ihm davon berichtet hatte:
Durchaus ist aber diese Schlegelsche Konversion sehr der Mühe wert, daß man ihr Schritt vor Schritt folge, sowohl weil sie ein Zeichen der Zeit ist, als auch weil vielleicht in keiner Zeit ein so merkwürdiger Fall eintrat, daß im höchsten Lichte der Vernunft, des Verstandes, der Weltübersicht ein vorzügliches und höchstausgebildetes Talent verleitet wird sich zu verhüllen, den Popanz zu spielen, oder wenn sie ein ander Gleichnis wollen, so viel wie möglich durch Läden und Vorhänge das Licht aus dem Gemeindehause auszuschließen, einen recht dunklen Raum hervorzubringen, um nachher durch das foramen minimum so viel Licht, als zum hocus pocus nötig ist, hereinzulassen.
Das alles sind Äußerungen aus der Zeit der Arbeit am Roman. Sie machen deutlich, daß Goethe zwar von der unbewußt wirkenden Chemie der menschlichen Beziehungen fasziniert ist, diesem Ungeheuren der Natur, nicht aber von dem von ihm sogenannten
hocus pocus
der angeblich überirdischen Mächte. Um so erstaunlicher allerdings ist die zeitweilig enge Beziehung zu Zacharias Werner in diesem Jahr der »Wahlverwandtschaften«. Werner war nun wirklich ein frömmelnder Autor, doch zugleich auch ein höchst sinnlicher. Für Goethe ein Beispiel zweideutiger Schlüpfrigkeiten, bei der das Schmachten nach dem Heiligen nicht mit dem Sittlichen, sondern mit dem Sexuellen verbunden ist. Werners Leben und Treiben nennt er
eine lüsterne Redouten- und Halb Bordellwirtschaft.
Doch ist Werner als Dramatiker eben auch
ein vorzügliches Talent
und wirkt besonders auf Damen. Als Intendant brauchte Goethe Attraktionen, und Zacharias Werner war eine.
Zacharias Werner war in Königsberg aufgewachsen als Sohn eines Professors der Eloquenz, im selben Hause wie der um ein paar Jahre jüngere E.T.A. Hoffmann. Nach dem frühen Tod des Vaters war er in die Hände einer halb wahnsinnigen Mutter geraten, die glaubte, mit ihrem hochgebildeten Sohn der Welt einen neuen Christus schenken zu können. Hoffmann erzählte später von den gellenden Schreien jener Frau im oberen Stockwerk, die sich als die Gottesmutter Maria empfand. Werner war, als ihn sein unstetes Wanderleben 1808 nach Weimar führte, bereits ein erfolgreicher Theaterautor. Sein Drama »Martin Luther oder die Weihe der Kraft« erzielte in Berlin unter der Regie August Wilhelm Ifflands einen überwältigenden Erfolg. Wochenlang blieb es auf dem Spielplan. Im protestantischen Berlin konnte man sich an einem Luther, der zugleich ein Heiliger, ein Berserker und ein Frauenliebling war, nicht sattsehen. »Der Eindruck des Ganzen ist widrig religiös«, berichtet Zelter. Der große Erfolg stieg Werner zu Kopfe, und als Schiller starb, fühlte er sich sofort zu dessen Nachfolge berufen. Als berühmter Theaterautor konnte Werner jetzt noch erfolgreicher seine Jagd auf Dienstmädchen und Gräfinnen fortsetzen. Seine schöne Polin, die dritte Ehefrau, hatte er einem Berliner Geheimrat abgetreten, der ihm dafür eine Stelle im Ministerium in Potsdam verschaffte, aber die hatte er bereits wieder aufgegeben, ehe er nach Weimar kam, wo er bei Goethe ein und aus ging. Zum Geburtstag der Herzogin am 30. Januar 1808 wurde Werners Stück »Wanda, Königin der Sarmaten« aufgeführt, die bizarre Liebesgeschichte einer Amazone, die einen feindlichen Fürsten bekriegt, den sie liebt und den sie schließlich tötet. Goethe mußte sich von rasenden Amazonen umzingelt fühlen, denn kurz zuvor hatte er von einem gewissen Heinrich von Kleist einige Akte der »Penthesilea« übersandt bekommen, »auf den Knien seines Herzens«, wie der Autor im Begleitbrief
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