Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
geschrieben hatte. Penthesilea gehört auch zu diesen überspannten Frauen, die Goethe nicht leiden konnte. Am 1. Februar 1808, zwei Tage nach der Aufführung des Wernerschen Stückes schrieb Goethe an Kleist:
Mit der Penthesilea kann ich mich noch nicht befreunden. Sie ist aus einem so wunderbaren Geschlecht und bewegt sich in einer so fremden Region daß ich mir Zeit nehmen muß mich in beide zu finden.
Der Extremismus und Absolutismus der Gefühle in der »Penthesilea« stieß ihn ab, das moderatere Stück vom selben Autor, »Der zerbrochne Krug«, ließ er aufführen, brachte es allerdings durch falsche Akteinteilung und unzulängliche Regie um alle Wirkung. Warum er aber einerseits die »Penthesilea« ablehnte und andererseits die ebenso männermordende »Wanda« schätzte, bleibt ein Rätsel. Vielleicht war ihm bei Wanda der Gestus der Erleuchtung bei der Tötung des Geliebten – »Du betörtes Menschenpaar, / Werde ruhig werde klar« – sympathischer als die Raserei der Penthesilea.
Goethe jedenfalls rechnete Kleist unter jene Romantiker, zu denen er Abstand halten wollte. In seiner
Diatribe gegen die Dichterlinge
im Salon der Johanna Schopenhauer nimmt er sich auch Kleist vor. Die »Penthesilea« nennt er dort eine unfreiwillige
Parodie
und verspottet jene Szene, wo die Amazone erklärt, alle harten Gefühle seien aus der abgeschnittenen linken Brust in die verbliebene rechte gefahren. Solches passe allenfalls in die italienische Komödie und nähme sich sogar dort ekelhaft aus, erklärte er.
Es gab also, als Goethe an seinen »Wahlverwandtschaften« schrieb, in der zeitgenössischen Literatur eine vom romantischen Geist beflügelte Konjunktur bizarrer Tollheiten des Liebesenthusiasmus. Doch Goethe erzählt seine Geschichte, in der es auch einigermaßen toll zugeht, nicht in romantischer Exaltation, sondern in der beobachtenden und distanzierten Haltung eines Naturforschers.
Betrachten wir noch einmal die Ausgangssituation. Eduard und Charlotte waren einmal ein jungverliebtes Paar, doch sie waren nicht stark genug, ihren wahren Neigungen zu folgen. Sie sind konventionelle Vernunftehen eingegangen. Durch den Tod des Ehepartners sind sie endlich frei füreinander geworden, haben geheiratet und sich auf die Güter Eduards zurückgezogen, um das sehnlich gewünschte, spät erlangte Glück genießen zu können.
Sie glauben nun ihren Neigungen leben zu können. Doch hier beginnt die erste Zweideutigkeit. Wie stark ist diese Neigung, ist es noch Liebe oder nur Erinnerung daran, vielleicht nur ein Nachspiel? Charlotte ahnte so etwas, denn sie hatte vor der Eheschließung gezögert. Eduard hatte gedrängt in dem Gefühl, am Ziel seiner Wünsche zu sein, und doch beschleicht ihn nun bisweilen ein Verdacht von Langeweile, was er sich aber nicht eingesteht. Deshalb wünscht er den in Not geratenen Freund, den Hauptmann, unverzüglich ins Haus zu holen. Charlotte wundert sich über die plötzliche Eile. Man könne sich doch Zeit lassen. Wer aber, wie Eduard, gegen die Bedrohung durch Langeweile ankämpft, der kann sich keine Zeit lassen. Ungeduld und Gereiztheit deuten darauf hin, daß die Eheleute nicht mehr Genügen aneinander finden, dies sich aber nicht eingestehen. Sie pfropfen Reiser auf junge Stämme, legen Wege im Park an, musizieren und lesen sich etwas vor, doch untergründig wächst die Leere.
Mit dem Eintreffen des Hauptmanns und Ottilies verändert sich die Situation. Indem Charlotte vom Hauptmann und Eduard von Ottilie angezogen wird, bilden sich neue Kraftfelder. Die Beteiligten reagieren unterschiedlich. Der Hauptmann und Charlotte versuchen, sich der wachsenden Neigung zu erwehren. Eduard indes gibt sich seinen Gefühlen für Ottilie hin, die ihrerseits fast somnambul dem Geliebten anhängt, ohne sich über ihre Gefühle wirklich im Klaren zu sein. Sogar ihre Handschrift gleicht der seinen. Es kommt der Augenblick – es ist der novellistische Falke –, da die Gefühle ins Bewußtsein treten. Das geschieht in jener berühmten Szene des Ehebruchs im Ehebett. Charlotte und Eduard liegen beieinander, im Geiste aber sind sie woanders.
Eduard hielt nur Ottilien in seinen Armen; Charlotte schwebte der Hauptmann näher oder ferner vor der Seele, und so verwebten, wundersam genug, sich Abwesendes und Gegenwärtiges reizend und wonnevoll durcheinander.
Am anderen Morgen begegnen die Ehegatten den beiden anderen
gleichsam beschämt und reuig
und gestehen ihren jeweiligen Wahlverwandten ihre Liebe,
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