Goethe
anderen schenken, auf andere sich freuen, das Herz. Aber jenes Herz, das einen einzigen Gott kennt, –: das zweite? Er lächelte. Gewaltsam. War's denn nicht eigentümlich? Der Himmel stand ohne Wolke. Und troff doch nicht Sinn, nicht Gefühl. Die Wiesenfelder brannten in hellgrüner Sommersonne. Und hatten doch keine Glut, keine Wärme. Die Hintergründe, Bäume, Sträucher, bestrahlte Wege, Rondeaus, ferne Bänke zogen sich perspektivisch reizvoll in den seinen Blaudunst des Mittags an den Hügeln zurück. Und sagten doch nicht Leben aus, Lieben. Stimmen von Vögeln, spielenden Kindern, schneidenden Sicheln, von naher Stadt, Grillen und Zikaden läuteten reg miteinander. Und läuteten doch: Einsam! Schnell, als müßte er auf der Stelle, in dieser Sekunde noch, die ein Schicksal entschied, diesen Symbolen gegenüber die Riesenstärke fühlen, in ihrer Einsamkeit kräftig zu leben, Reis zu treiben, Knoten auf Knoten zu schießen und Krone zu entwickeln, fuhr er mit der Hand an das Herz. Und eine süße, hohe, treue erfaßte die greifende. Und eine Stimme, die von jenseits aller irdischen Wechsel klang, flüsterte sicher: »Verzweifle nicht! Alles ist da noch! Du hast die Kraft! Hast sie!« Und ein ewiges Auge blickte ihn stolz an: »ich bin sie!« Verborgen – wie von nun an alles verborgen sein oder verwandelt werden mußte! – fuhr die Hand zurück. Die Jahrtausende, die Geister, und Faust, der sie in seinem Menschen einte, waren da drin! Voll lebendig! Ha! Jetzt lebe, Faust! Jetzt zeuge deine Welt aus den Welten! Jetzt erfahre: nur, wer niemals und von nichts je genug hat, – was immer er nicht hat, baut ihm die Pyramide! Frösteln durchfuhr ihn. Wägend setzte er sich auf die Stockkrücke. Schritt das Mädchen, das da drüben aus den Büschen trat, geniert errötend, auf ihn zu? Wohl, Faust, jetzt zeige recht, was du . . . . .
»Morgen!« unterbrach er sich; lächelte, als das Persönchen wahrhaftig vor ihm knixte. Klein war sie, derb, drall. Aber hübsch. Die braunen Locken fielen voll herein in die Wangen. Weiß blitzten die Zähne zwischen überroten Lippen. Ein allzu bunter Schal lag um die Schultern. Den Busen, der deutlich unterm weißen Mieder zitterte, ließ er frei. »Was soll ich für sie tun?« fragte er gewinnend, weil sie stotternd jetzt eine Rolle überreichte. »Wie heißt sie?«
»Vulpius.«
»Vulpius?« Durch einen spöttischen Rechen zog der Mund das Wort. »Schwester vom . . . . . ?«
»Jawohl!« Jetzt war sie geradezu verteufelt hübsch. »Christiane Vulpius. Mein Bruder, . . . ich bin in der Kunstblumenfabrik. Mein Bruder . . . er hat . . .«
»Hm.« Er hob die Rolle. Las. Überlange. Dann noch einmal. Diesmal – anderes! Sein Auge, in absichtlich übertriebener Unbekümmertheit, flog über dem Papierrand das Persönchen ab: die gewöhnliche Stirn, die großen, runden, dunkeln Augen, die vollen Wangen, den unverkennbar üppigen Kußmund, die Arme, den Busen, die . . . »nun,« lächelte er fast lebemännisch: Füßchen waren es gerade nicht! Doch wohlgebaute Füße! Plötzlich, daß das Papier raschelte, ließ er die Rolle sich wieder rollen. Und – fuhr wie in einem Blitzeinfall auf. Warum denn nicht? Warum auch blinzelt dies niedliche Auge so vertraulich? »Kennt sie« – fremd riß er die Gestalt hoch; Luft! Entspannung! Entladung! – »kennt sie mein Gartenhaus?«
»Drunten an der Ilm? Gegen dem von Schmidtschen über?«
»Ganz recht!« Und noch fremder die Gestalt aufgereckt in den fühllosen Himmel! Und noch eindeutiger gelächelt! »Mag sie um fünfe hinabkommen? Wir sehen dann, was sich in der Sache machen läßt? Hm?«
Purpurrot ward sie. »Wenn Exzellenz . . .«
»Abgemacht! Um fünfe!« Und nun, unverschleiert spielerisch, blickte er nach. »Hm? Was wird das?«
Wäre das – zögernd schritt er weiter – das der richtige Beginn des Auswirkens der Erweckung?
Mit dem Stock, vernichtungsfreudig, köpfte er Disteln am Wege. »Wer hat mir was zu sagen? Wen geht es etwas an? Wer weiß etwas, – will etwas von mir wissen?«
Als er das Gartenhaus aus den frischen Linden hervorblinken sah, glaubte er, eine hohe, schwarze Gestalt in die Büsche am Berglein verschwinden zu sehen. Ingrimmig grinsend blieb er stehen. »Weißt du vielleicht etwas von mir, einseitiger Alter? Was heißt euch: ein Mensch?«
Rasch emporgestiegen, eingetreten in die obere Stube, befahl er Tinte und Papier. »Ich bin für niemand zu Hause. Um fünf Uhr kommt eine
Weitere Kostenlose Bücher