Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
Vom Netzwerk:
der Führer den Riemen los.
    »Nichts als Tod!« knirschte Tischbein. »Zerstörung! Unsinn! Widersinn! Chaos!«
    »Im Gegenteil! Schön ursächlich bedingte Wirkung!«
    »Sie sind doch kein Naturforscher!«
    »Und Sie kein Allegoriker!«
    »Aber ein Künstler!«
    Brumm! Wie ausgeschleudert sprang Tischbein vom Fels auf und unter den schützenden Überhang. »Jetzt!« schrie der Führer, und schwang den Riemen. » Presto! Vorwärts!«
    »So geben Sie doch wenigstens acht, um Himmelswillen!«
    Aber die Begierde trieb den Rasenden rasend. Im ungeheuren Maul verschlang ihn die Wolke von Dampf. Der Atem stockte. Der Fuß versank in dem Meere von Asche. Das Trommelfell peitschte der Lärm. » Corraggio! Niente paura! « stachelte keuchend der Führer. Stampfen wurde das ruckweise Beben. Plötzlich lautlose Stille. Licht eines unmeßbar fernen Himmels sprengte den Raum. » Eccocci! « Einen knallenden Riß tat der Riemen; sie standen auf dem Grate des Kraters.
    »Man sieht ja nichts!« Wie ein enttäuschtes Kind jammerte Goethe, irrsinnig weit vornübergebeugt durch die tosende Stickluft. »Siehst du etwas, Giovanni?« Da sah er! Ein Windstoß, von oben kerzengerade in den Schlund hinabgeworfen, machte die Dampfwirbel flattern. Wie der Rachen des erstgeborenen Ungeheuers der Schöpfung schaute die Untiefe empor in sein Auge. Hunderttausend Risse, purpurschwarz klaffend wie von suchendem Blute, spieen aus den zerrissenen Wänden die Wut ihres Atems. Glimmende Tollfunken, nicht schon Feuer, nicht schon fertig erlöst zur Weißglut der Flamme, glotzten aus dem Brodeln. Ächzend, ausstoßend mit ringendem Wildlaut die Werdegier, daß ohne Unterlaß sich hob und sich senkte, was rundum schon Welt war, flehte die geknebelte Bestie um Freiheit.
    »Iphigenie,« blitzte es grimmig durch die wunderfrönende Seele, »hat zu Weimar nicht zu gefallen geruht. Wie wär's, wenn ich mich dieser Mutter zurückgäbe?«
    »Zu Boden!« schrie der Führer. Der Berg spie schon.
    Als würde er durch die heulenden Lüfte hinab nach Resina geworfen, packte den Überrumpelten die Tatze des Augenblicks. In traumhaftem Intervall sah er: wie schwimmende Silberteller in unwahrscheinlich süßem Blauteich, Ischia und Procida weit draußen im Meere. In der nächsten Sekunde: Pestnebel. Mit tobenden Wangen stieß er die Asche aus dem brennenden Schlunde. Hoch oben, im Himmel, der braungelb mit schrecklicher Drohung herabstierte, in zehnfacher Adlerhöhe, zerplatzte die Bombe des Ausschusses.
    »Die Hände auf den Schädel!«
    Knatternd wie Eisenhagel aus dichter Geschoßfront, sauste die Wolke der Aschen herab.
    » Via! Subito! Fuga! «
    Daß die Fetzen von den rauchenden Sohlen flogen, rannten sie.
    »Gott sei Dank!« Mit der Flasche voll Vesuvwein kam Tischbein aus dem Felsschirm hervorgestürzt. »Trinken Sie rasch! Wie Sie aussehen! Sie könnten sich ruhig ins Museum von Portici legen!«
    Aber der Selige lächelte nur. Tat ein Schlückchen. Reichte die Flasche dem Führer. Packte den Führer, kaum daß er die Flasche geleert hatte, gierig beim Ärmel; und wieder, ohne Besinnen, zurück; Richtung Kegel! Niedlich, zu niedlich, sich der geologischen und mineralogischen Experimentchen im zahmen Thüringerland und auf den »Felsen« von Karlsbad zu erinnern! Reizvoll, den Blick, den keine Mauer einer bestimmten Heimat mehr engte, hineinzubohren in die schwefelstickende Grauschwärze, in den Treffschußpunkt dieser Scheibe von Willkür der Natur, und darin das Bild von Rom erstehen zu lassen, – Bildnis der logischen Kunst – und sich schonungslos an jenem Schlafittchen zu packen, das noch vor wenigen Wochen, in der Farnesina, so eitel triumphiert hatte! Hier – diabolisch vollsichtig lachte er – war das Wunder noch: Geschehen! Dort nur noch: Wirkung schon lange vorher entstandenen Gedankens! Für die bildende Kunst, natürlich, steht die Unordnung für ewig tief unter der Ordnung. Für die dichtende auch? Er blieb stehen, mitten im Taumel. Jedenfalls blieb auch das Kunstwerk des Dichters, selbst wenn es die Maßlosigkeit unbarmherzig als den Urgrund der späteren Maße enthüllt und diese Maßlosigkeit noch so zeitlassend überführt in das Maß, doch noch meilenweit hinter der blutigen Wahrheit zurück, die nur das wissenschaftliche Erforschen ermittelt. Schreit aber das Hirn eines Ehrlichen, vor einem solchen Vulkan, nicht nach Wahrheit, bevor es nach Kunst ruft? »Ich habe,« lächelte er in unsäglicher Verachtung, ein Riesenstück pechschwarzer,

Weitere Kostenlose Bücher