Goethe
erlag auch er; endgültig. Und nun erblich der letzte Schein in nichts! Aufgelöst floh Raffaels holdes Antlitz aus dem Raume. Ein Funke noch, vom Fenster her, daraus es irr entglitt, – und Orest, wie eine Seele Michelangelos vergiftet, stand allein! Das Licht im Luftstrom, die schlaue Zuversicht des Freundes, die aufgeblühte Liebesglut der Schwester, wie Waffen warf er sie, die seinen Händen nicht mehr taugten, graus hinweg. Und nun ein Blick, versinkend im Morast der Martern, und wie Fontäne schoß der Irrsinn auf:
»Ja, schwinge deinen Stahl, verschone nicht,
Zerreiße diesen Busen und eröffne
Den Strömen, die hier sieden, einen Weg!«
»Tischbein!« Ohne ihn zu sehen, schob Goethe Bury von der Lehne weg, sprang auf und gab das Heft, das bebte, durch die finstere Luft Tischbein hinüber. »Lesen Sie weiter!« Tat stolpernd einen Schritt der Frau entgegen, die verzaubert saß, und ließ sich grau zu ihren Füßen nieder.
Zerrissen, bang, als läge Orest auf diesen toten Fliesen, verstrich die Pause.
»Noch einen!« flehte endlich, zaghaft, Tischbein, »noch einen reiche mir aus Lethes Fluten . . . . . .«
»Gerettet!« jauchzte Moritz, riß die Arme trunken aufwärts. »Er ist gerettet!«
Atemholen, weit und laut und tief, genoß sich scheu im Kreis. Orest gerettet! Die Erinnyen ziehen ab! Froh lärmten die Sessel, die Mienen jagten frisch den Bann weg, mild hob Angelica das tränenübergossene Antlitz aus der Hand, das Licht schwang wieder, blau der Strom des Lebens in die Fenster, in süßer Neugeburt erstand die Farbe, stieg nackter Leiber Schönheit weiß zurück.
»Laß mich zum erstenmal mit freiem Herzen in deinen Armen reine Freude haben!« las Tischbein bebend, – im selben Augenblick rief Bury brennend: »Das Antlitz Raffaels! Da! Da! Da ist es!«
»Er hat den Olymp ausgetrieben und richtet ihn nun wieder auf!« stieß Moritz atemlos den Schweizer an.
»Als ob er Raffael selber wäre!« hauchte Reiffenstein.
»Ich warte das Ende ab!« schlug Hirth beherzt den Schenkel.
»Mein Freund!« Mit einem Lächeln, das nichts von dieser Erde hatte, beugte sich Angelica dem Kauernden hinab und langte heiß nach seiner Hand. Er merkte es nicht. Sah keinen mehr. Hoch über ihnen allen las das strengbefohlne Auge in der Decke. Eine Amsel sang im Garten draußen frühlingstoll den Himmel voll. Der Widerglanz der Sonne strich mit Wogenlust von Wand zu Wand. Der Ölbaum spielte singend mit dem Feber, mit tausend Schellen klingelte das Leben. Er sah und hörte nichts. Vor seinem unerbittlich scharfgezielten Auge stieg Psyche wieder in den Strahl der Bläue. Zerriß die Finsternis von Leid, das seine blutigen Verse ihr beschieden, und nicht mit bangem Leib wie jene, die Verdammnis fürchten müssen, wenn nicht der Schein siegt, den sie täuschend lügen, trat sie den neuerweckten Göttern jetzt entgegen. Das Auge, das in einer einzigen Stunde den Zwiespalt alles Erdeseins erfahren, starkmütig in die Stirn des Zeus gebohrt, den Busen lohend von dem Trotz des Muts, vor Zeus als Seele – nicht als Psyche! – zu bestehen, rief sie befreit: »Nein! Nehmt mich nicht ein zweitesmal, nur weil ich schön bin und mich Amor liebt! Bin ich nicht wert, als was ich bin, den Sitz mit Euch zu teilen, dann stoßt mich kühn zurück! Bin ich es aber . . . . .«
Da hob sich Tischbeins Stimme hochauf zum Entschluß. Der Kampf, den noch kein Herz in Hellas ausgefochten: sterben lieber, als durch List gewinnen! – in diesem Herzen wird er frei gewagt! Die Lüge sinkt, das Wahre siegt! Wie jetzt die Götter wählen, – ist der Götter Sache!
»Auf und ab
Steigt in der Brust ein kühnes Unternehmen,
Ich werde großem Vorwurf nicht entgehn,
Noch schwerem Übel, wenn es mir mißlingt;
Allein Euch leg' ichs auf die Knie! Wenn
Ihr wahrhaft seid, wie Ihr gepriesen werdet,
So zeigt's durch Euren Beistand und verherrlicht
Durch mich die Wahrheit. Ja, vernimm, o König . .«
Pfingstfest der Wahrheit? Fuhr die sichtbar zündende Zunge des Geistes nieder? Warum, getroffen im innersten Begehr der Seelen, erschauerten die Lauscher? Bläst Atem vom Geheimnis aller Welt durch die gemessenen Wände? Aus ihrer tiefsten Tiefe schluchzend losgerissen, erstand im Auge der verzückten Frau die Träne, rann süß dem Kauernden hinab, der starr zu ihren Füßen saß und sie nicht rinnen, nicht zerschmelzen sah. Denn: Psyche ward empfangen von den Göttern! Ist es
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