Götter der Lust
neuestes Problem mit ihr zu teilen.
Sie ging in den Garten, um frische Luft zu schnappen, und kickte wütend Kieselsteine vom Weg ins Gebüsch. Warum war der Mann nur so unkommunikativ? Sie sehnte sich nach der Autorität, die ihr ihre berufliche Position verlieh, aber das lag zweihundert Jahre in der Zukunft und half ihr hier nicht weiter.
Abby fand eine steinerne Bank und setzte sich darauf, ohne das Grün um sie herum zu beachten. Sie blickte starr auf den grauen Kiesweg. Was hatte das Rätsel zu bedeuten?
Sosehr sie auch versuchte, es herauszufinden, schweiften ihre Gedanken doch bald vom Rätsel ab. Sie dachte an den Schmerz in Myles’ Gesicht und die kalten, verächtlichen Worte des Herzogs in Bezug auf sein Verhalten. Hatte sie ihn so falsch eingeschätzt? Hatte er von ihr wirklich mehr gewollt als nur ihre Blaupausen? Wie gut konnte sie überhaupt einen Mann verstehen, der zweihundert Jahre vor ihrer Zeit geboren wurde? Er musste doch eine ganz andere Einstellung haben als ein moderner Mann! Schon sein überentwickelterBeschützerinstinkt, den er an den Tag gelegt hatte, nachdem sie ihre Streitigkeiten beigelegt hatten (also als er ihr endlich geglaubt hatte), deutete ja darauf hin.
Aber darüber, wie er sie ausgenutzt hatte, hatten sie ja bereits gesprochen. Er war offenbar wirklich erschüttert darüber gewesen, dass sie eine so schlechte Meinung von ihm hatte. Hatten diese Gentlemen eigentlich keinen Ehrenkodex? Falls es darin so etwas wie ein «Wir» geben sollte, müsste sie ihm vertrauen können.
Ein «Wir»? Wollte sie das wirklich?
Und wenn es womöglich gar keine Chance für diese Beziehung gab? War sie völlig durchgeknallt?
Sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und machte die ganze Mühe des Dienstmädchens zunichte, indem sie auf dem Kiesweg ihre Haarnadeln verstreute. Sie schüttelte den Kopf, um so viele wie möglich abzuwerfen, und zog die letzten verbliebenen heraus.
Abby hatte es nun nicht mehr nötig, sich den Respekt des Herzogs zu erwerben. Ihr niederer Stand als unverheiratete Frau gab ihr ohnehin keine Chance mehr.
Nur eines blieb ihr noch zu tun: den Gott zu bezwingen und mit den Folgen zu leben, wie auch immer sie aussahen. In dieser Situation war es unklug, jemandem ihr Herz zu schenken.
«Mrs. Hardy?» Eine Mädchenstimme ließ Abby innehalten, als sie gerade von der steinernen Bank aufstehen wollte. Elaine. Das lange rote Haar floss offen über ihren Rücken.
Abby richtete sich auf. «Euer Gnaden», grüßte sie.
Elaine kniff die Augen zusammen. «Das ist die falsche Anrede. Wie gewöhnlich seid Ihr eigentlich?»
«Ziemlich gewöhnlich», gab Abby fröhlich zu. «Fragt Euren Vater.»
Elaine verschränkte schmollend die Arme. «Wir reden nicht miteinander.»
Abby äffte ihre Pose nach. «Und warum? Aber das geht mich natürlich nichts an.»
«Und ob Euch das etwas angeht», blaffte Elaine. «Ihr seid schließlich diejenige, welche die Büchse der Pandora geöffnet hat –»
«Wohl eher die Büchse des Dionysos», murmelte Abby.
Elaine aber machte sich weiter Luft, ohne auf Abbys Einwurf einzugehen. «– und Ihr habt Demetrios in mein Leben gebracht. Und jetzt will mein Vater ihn mir wieder wegnehmen.» Sie bebte, während sie Luft holte und mit einem zitternden Finger auf sie zeigte. «Und Ihr seid auch diejenige, die er benutzen wird, um sein Ziel zu erreichen.»
Abby kniff einmal kurz die Augen zusammen. «Wie kommt Ihr darauf?»
«Ich habe gelauscht.»
«Aha.» Abby musterte das Gesicht des Mädchens. Der blaue Fleck an ihrem Hals war eindeutig ein Knutschfleck. Sie hatte vom Küssen geschwollene Lippen, ihre Augen leuchteten. «Und wer ist dieser Demetrios?»
«Er ist ein … ein Satyr.»
«Ein was?»
Elaine lief vom Haaransatz bis zum Ausschnitt rot an. Abby hatte sie noch nie erröten sehen, aber sie kannten sich ja auch noch nicht lange. «Er ist halb Mensch, halb … halb Ziege.» Sie schloss verschämt die Augen.
«Ich denke, ich sollte nicht überrascht darüber sein, dass ich nicht überrascht bin», murmelte Abby. «Aber Euch ist doch hoffentlich klar, was geschehen wird, wenn Euer Vater und ich diesen Gott nicht aufhalten.»
«Das ist mir egal.» Sie stampfte mit dem Fuß auf.
«Es ist Euch also egal, ob diese Welt in ungezügelter Lust versinkt? Dass Menschen an ihrer grenzenlosen Begierde zugrunde gehen werden und die ganze Zivilisation ins Wanken gerät? Könnt Ihr Euch das nicht vorstellen?» Abby konnte es, aber Elaine
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