Götter der Lust
dann mit seiner übrigen Horde in den Wandmalereien eingeschlossen zu sein? Du sagtest doch, ich würde jetzt ihm gehören.»
«Um der Wahrheit die Ehre zu geben: noch nicht vollständig.» Er atmete einmal tief durch. «So wie du bei Sonnenuntergang widerstandslos zu ihm gegangen bist, sah es zwar schon ganz so aus, und es tat sehr weh», gestand er, und seine Lippen zuckten traurig. «Aber die Zeit, die uns noch bleibt, geht zur Neige.»
«Und falls ich so bleibe und wenn es dem Herzog gelingt, Dionysos wieder einzufangen? Was dann?»
«Vielleicht gehst du dann in deine eigene Zeit zurück.» Myles zuckte mit den Achseln. «Der Text der Aufzeichnungen ist da zweideutig. Wenn der Herzog die Wahrheit über dich wüsste, würde ich ihn fragen.»
Abby senkte den Blick. «Ich könnte ihn ja selber fragen», flüsterte sie und griff nach seiner Hand, ohne ihn anzusehen. Ihre Fingerspitzen berührten nur ganz kurz seinen Handrücken, bevor er die Hand zurückzog.
Dann verließ er den Raum.
Der Drang, ihm zu folgen, ließ Abby halb von ihrem Stuhl aufstehen, bevor sie sich doch wieder setzte. Sie wollte nicht wieder Streit darüber anfangen, wer an der ganzen Sache schuld war. Wusste er denn nicht, wie sehr sie ihn vermisste?
Innerlich brodelnd und frustriert angesichts der Hoffnungslosigkeit ihrer Lage, aß sie erst einmal zu Ende, bevor sie sich auf die Suche nach dem Herzog machte.
Sie fand ihn im Studierzimmer, wo er gerade einen neuen Stapel von Handschriftenrollen durchsuchte. Sie sah zu, wie er das Papier entrollte (oder vielleicht war es ja sogar Pergament, wenn die Schriften noch älter waren). «Euer Gnaden?», sagte sie vorsichtig und trat ein.
Der Herzog blickte zu ihr auf. «Schließt die Tür und sperrt sie ab.» Sie gehorchte und legte den Schlüssel auf den überquellenden Schreibtisch. «Ihr habt also etwas gefunden.» Sie hätte eigentlich erwartet, dass er freudig erregt sein würde, statt seine angespannte Miene beizubehalten.
Der Herzog von Winterton breitete das Dokument aus. «Ich habe es letzte Nacht entdeckt.»
«Warum sucht Ihr dann noch weiter?», fragte Abby, an die Kante des Schreibtisches gelehnt.
«Aus Gründen, die nur mich etwas angehen», wich er aus und konzentrierte sich auf ein weiteres zerfleddertes Manuskript.
«Vielleicht könnte ich ja helfen», bot Abby an und griff nach einer der fragilen Schriftrollen.
Winterton hätte ihr fast auf die Hand geschlagen, doch dann machten seine dünnen Finger im letzten Augenblick unmittelbar über den ihren Halt. «Nein. Das muss ich selbst entziffern.»
«Aber wenn Ihr die Lösung für unser Problem mit dem griechischen Gott gefunden habt, wie lautet sie dann? Und was muss ich dabei tun?»
Der Herzog durchbohrte sie mit einem fragenden Blick. «Wie kommt Ihr darauf, dass Ihr dabei etwas tun müsst?»
«Weil ich der Schlüssel zu allem bin. Ihr habt mich als solchen bezeichnet, der Gott ebenfalls. Außerdem liegt es doch nahe, dass die Person, die den Gott aus seinem Gefängnis befreit hat, ihn auch wieder hineinbringen kann.»
«Ihr seid eine kluge Frau, klüger als die meisten.»
Abby zuckte gleichgültig die Achseln. «Ich hatte ja auch eine bessere Ausbildung als die meisten.» Sie wartete auf eine Antwort vom Herzog, doch der schien schon wieder ganz in seinen Schriftrollen versunken. «Euer Gnaden?»
Der Herzog strich sich übers Kinn, blickte sie aber noch immer nicht an. «Gebt mir noch diesen Tag, Mrs. Hardy, dann erkläre ich es Euch.»
«Ah. Aber ich bräuchte in Bezug auf eine Kleinigkeit Eure Hilfe, Euer Gnaden.»
«Meint Ihr mit ‹Kleinigkeit› den Zustand, dass ein Gott und seine Gefolgsleute sich hier wie die Wilden gebärden?»
Sie hielt ihren Ehering fest. Bald würde sie ihn nicht mehr tragen müssen. «Nein, es ist … äh … die Kleinigkeit, dass ich in Wirklichkeit gar nicht mit Mr. Hardy verheiratet bin. Und auch nicht vor gut zwanzig Jahren geboren.» Auch im einundzwanzigsten Jahrhundert war sogar einer selbstbewussten Frau nicht daran gelegen, ihr genaues Alter preiszugeben. Wozu sollten sonst Produkte zur Hautpflege gut sein?
Der Herzog markierte die Textstelle, der er sich gerade gewidmet hatte, mit dem Daumen und ließ dann zu, dass sich das Dokument zusammenrollte. Er kniff verärgert die Augen zusammen. «Das müsst Ihr mir erklären.»
«Ich wurde – das heißt, ich werde erst – in rund einhundertund-» – Abby rechnete nach – «fünfundsiebzig Jahren geboren.»
Es
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