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Götter der Nacht

Titel: Götter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Grimbert
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eigentliche Stadtgrenze erreichte. Weit und breit sah man nichts als ein Gewirr an Häusern, von luxuriösen Familienwohnsitzen bis hin zu verfallenen Schuppen, die halb im dreckigen Wasser standen.
    Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto weiter wagten sich diese abenteuerlichen Bauten in den Fluss hinaus. Manche Häuser standen sogar ganz auf Pfählen. Bald hatte Yan die größte Mühe, das Schiff unbeschadet an den Hindernissen vorbeizusteuern. Bei dichterem Verkehr wäre die Navigation fast unmöglich gewesen. Aber zum Glück war die Othenor, abgesehen von einigen vereinzelten Ruderbooten, allein auf dem Fluss. An den überraschten und missbilligenden Blicken der Bewohner erkannten sie schnell, dass die Schifffahrt auf der Urae schon lange aus der Mode gekommen war. Wer Romin nicht auf dem Landweg erreichen konnte, kam gar nicht erst.
    Sie fuhren unter zwei jahrhundertealten befestigten Brücken hindurch. Eine davon war zur Hälfte zerstört und sah aus, als würde sie jeden Moment einstürzen. Nachdem sie noch eine weitere Meile im Zickzackkurs an verfaulenden Pfahlbauten vorbeigesegelt waren, mussten sie vor einer stillgelegten und eindeutig nicht mehr funktionstüchtigen Schleuse Halt machen.
    »Aha«, sagte Grigán. »Das letzte Stück gehen wir wohl zu Fuß.«
    Rasch suchten die Erben ihre Siebensachen zusammen, was nicht lange dauerte. Nur Rey wusste nicht, was er mit seiner Geldschatulle machen sollte. Schließlich beschloss er, sie einfach unter einem Baum zu vergraben.

    »Hätte ich doch nur ein Pferd«, murrte er. »Oder einen Esel. Wenigstens einen Esel. Grigán, habt Ihr gerade zu tun?«, rief er dem Krieger zu.
    »Was?«
    »Ach, nichts.« Rey winkte ab und grinste in sich hinein.
    So marschierten sie los. Es machte Léti ein wenig wehmütig, die treue Othenor auf einem dreckigen Fluss zurückzulassen, nachdem sie so viele Tage an Bord verbracht hatten. Nun besaßen die Gefährten fast gar nichts mehr.
     
     
     
    In der Gestalt eines zehn Schritte langen Zitteraals kreist Usul unaufhörlich durch die Höhle - seinen Kerker, in dem er bis in alle Ewigkeit gefangen ist. Doch zum ersten Mal seit langer Zeit spürt Usul keine Langeweile. Der Gott ist abgelenkt. Er sinnt über die Sterblichen nach.
    Sein letzter Besucher war mehr als interessant. Ihre Begegnung hat die Zukunft gründlicher durcheinandergebracht als je zuvor. So beobachtet Usul all jene, die in den bevorstehenden großen Ereignissen eine Rolle zu spielen haben. Er lauscht ihnen, er verfolgt sie. Er grübelt über die schier unendlichen Wahrscheinlichkeiten zukünftiger Welten nach, spekuliert und malt sich alle Möglichkeiten aus. Und diese ändern sich mit jedem Augenblick.
    Mit der Zeit erkennt Usul dennoch einige Konstanten. Was die Menschen jetzt auch tun, die Geschichte der Oberen Königreiche ist bereits geschrieben. Das schnelle Ende seines Spiels schmerzt ihn, und er überlegt, wie er eingreifen könnte. Doch außerhalb seines Kerkers kann er nichts ausrichten. Er ist der Wissende. Darin erschöpft sich seine Macht.
    Und wenn schon! Es bleiben immer noch mehrere
Schicksale, die im Ungewissen liegen, und das sind nicht die unbedeutendsten. Er freut sich auf den Zusammenprall aller Kräfte, die nun im Spiel sind. Selbst wenn in der Fülle von Wahrscheinlichkeiten der Sieger längst feststeht.
    Denn was vermögen die Sterblichen schon gegen die Ewigen?
     
     
     
    Obwohl auf den Straßen große Betriebsamkeit herrschte, zogen die Erben in der Hauptstadt des Alten Landes viele Blicke auf sich. Immer wieder drehten sich Passanten nach ihnen um und starrten sie unverhohlen feindselig an. Wie es Grigán ihnen geraten hatte, gingen sie auf diese provozierenden Blicke nicht ein. Nur Rey ließ hin und wieder eine wenig schmeichelhafte Bemerkung über die sonderbaren Kleidungsgewohnheiten der Rominer fallen.
    Die Rominer trugen alle möglichen zusammengewürfelten Trachten: kaulanische Tuniken, juneische Roben, lorelische Hemden, goronische Mäntel, Umhänge, Westen, Pelze, Wolljacken und dergleichen unglückliche Kombinationen mehr. Aber das Erstaunlichste war die Wahl der Farben.
    Die Rominer mischten zwar alle Arten von Kleidungsstücken wild durcheinander, legten aber großen Wert darauf, dass sie den gleichen Farbton hatten: Der eine trug Rot, ein anderer Gelb, Blau, Grün oder eine der unzähligen Abstufungen dazwischen. Häufig schmückten die Rominer ihre Gewänder mit Stickereien oder überdimensionalen Broschen, auf denen der

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